Coronaviren unter dem Elektronenmikroskop
APA/AFP/National Institutes of Health/Handout
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Britische Variante

Wie die Mutationen entstanden sind

Coronaviren gehören in Sachen Mutationen nicht zu den Sprintern unter den Viren, sie verändern sich relativ langsam. Die in Großbritannien kursierende Variante hingegen hat sich in kurzer Zeit stark verändert. Blutplasmatherapie könnte dabei eine wichtige Rolle gespielt haben, wie Forscher und Wissenschaftlerinnen vermuten.

Coronaviren gehören – wie Grippe- und HI-Viren – zur Gruppe der sogenannten RNA-Viren. Das bedeutet, dass Ihr Erbgut aus Ribonukleinsäure (RNA) besteht und sich bei der Vermehrung des Erregers schnell verändern kann. Allerdings ist das nicht bei allen RNA-Viren gleich, sagt der Virologe Norbert Nowotny. Er hat auch schon intensiv zu den Vorgängern des aktuellen Erregers, den Auslösern der Lungenkrankheiten SARS und MERS geforscht.

„Grippeviren beispielsweise verändern sich wesentlich schneller als Coronaviren, die mit rund 30.000 Bausteinen ein relativ großes Genom haben. Sie haben einen eingebauten Korrekturmechanismus, ein ‚proof reading‘, das Fehler bei der Vervielfältigung erkennen kann. Er funktioniert zwar nicht immer zu 100 Prozent, verhindert aber, dass so viele Fehler auftreten wie bei anderen Viren.“ Speziell zu Sars-Coronavirus-2 sagt Nowotny: „Wir sehen ungefähr eine Mutation alle 14 Tage.“

Reaktion auf Blutplasma-Therapie?

In den allermeisten Fällen sind diese Veränderungen völlig belanglos, nicht so bei der Corona-Variante, die sich in Großbritannien stark verbreitet und die aus zwei Gründen für die Wissenschaft interessant ist: Zum einen vereint diese Variante rund 20 Mutationen in sich, was für ein Coronavirus an sich schon erstaunlich ist. „Und zum zweiten finden sich diese Mutationen großteils im kritischen Bereich des Virus: im Spike-Protein“, so Nowotny. Dieses spitzenförmige Eiweiß an der Oberfläche des kugelförmigen Virus hat zwei Funktionen: Es dockt damit an den Körperzellen an. Und es dient dem menschlichen Immunsystem als Blaupause, um den Erreger zu erkennen und zu bekämpfen.

Ö1-Sendungshinweis:

Über dieses Thema berichtet auch das Mittagsjournal am 29.12.2020.

Aber warum hat sich das Coronavirus genau in diesem Bereich so stark verändert, wo es doch eigentlich nicht als besonders mutationsfreudig gilt? Norbert Nowotny verweist auf Hypothesen, wonach die britische Variante in einem Menschen entstanden ist, der über längere Zeit mit Blutplasma ehemals Erkrankter behandelt wurde: „Es könnte sein, dass durch die im Rahmen der Blutplasmatherapie verabreichten Antikörper das Virus so unter Druck gekommen ist, dass es immer wieder versucht hat zu entkommen und deshalb in relativ kurzer Zeit so viele verschiedene Mutationen angehäuft hat.“

„Aus chronisch-infiziertem Individuum“

Auch das britische Covid-19 Genomics Consortium, an dem renommierte Wissenschaftler und Forscherinnen der Universitäten Oxford, Cambridge und Edinburgh beteiligt sind, formuliert in seinem ersten genetischen Steckbrief der britischen Virusvariante diese Hypothese: „In Covid-19-Patienten mit einem sehr schlechten Immunsystem zirkuliert das Virus oft zwei bis vier Monate. Wenn nach einigen Wochen Infektion mit Antikörper-reichem Blutplasma therapiert wird, treffen diese Antikörper auf eine ohnehin schon sehr vielfältige Viruspopulation, was Mutationen beschleunigen könnte.“

Diese Beobachtungen haben die britischen Experten „zur Hypothese gebracht, dass die unübliche genetische Vielfalt [der britischen Variante, Anm.] zumindest teilweise von einem chronisch-infizierten Individuum stammen könnte“.

Weiterer Hinweis aus Südafrika

Auch andere österreichische Coronavirus-Experten halte diese Hypothese für wahrscheinlich, wie Ö1-Nachfragen ergaben. Norbert Nowotny betont aber im Interview: „Das ist bisher eine Annahme, die noch nicht bewiesen ist.“ Ein weiterer Hinweis, dass mutierte Varianten mit einem schwachen Immunsystem und dementsprechend langer Viruszirkulation zusammenhängen könnten, kommt dieser Tage auch aus Südafrika: Die dortige Variante – eine andere als in UK, aber ebenfalls mit vielen Mutationen – ist wahrscheinlich in einer Region mit vielen schlecht behandelten HIV-Patienten entstanden; also in Menschen, deren Immunsystem durch die Infektion mit dem HI-Virus bereits geschwächt war.

All diese Beobachtungen bereiten Norbert Nowotny Sorge, und er sagt: „Man muss die britische Variante auf jeden Fall ernst nehmen und genau beobachten.“ In Österreich wurde sie bisher nicht nachgewiesen, Experten halten es aber nur für ein Frage der Zeit, bis sich genetisch belegen lässt, dass sich auch hierzulande bereits Menschen mit ihr angesteckt haben. Eine gute Nachricht hinsichtlich der Mutationen bleibt jedenfalls aufrecht: Bisher gibt es keinen Hinweis, dass sie zu einem schwereren Verlauf der Krankheit führen.