Laborarbeit: Forscher mit Petrischalen, gefüllt mit Nährmedium für Zellen.
Volker Lannert/University of Bonn
Volker Lannert/University of Bonn
Antikörper

„Nanobodies“: Das Virus in die Falle locken

Forscher aus Deutschland wollen CoV-Infektionen mit Mini-Antikörpern behandeln. Laborversuche verliefen bereits erfolgreich, sie zeigen: Die „Nanobodies“ locken Coronaviren in eine Falle.

Nun beginnen die Wissenschaftler von der Uni Bonn mit Tierversuchen, erste klinische Tests am Menschen sollen ebenfalls noch in diesem Jahr starten. „Wir arbeiten mit Volldampf daran“, sagt Studienleiter Florian Schmidt. Ein marktfähiges Therapeutikum hält er bis zum Jahr 2022 für möglich. Wie die Methode funktioniert, erklärt der deutsche Immunologe im ORF-Interview.

science.ORF.at: Herr Schmidt, die passive Immunisierung mit Antikörpern gibt es als Konzept schon lange. Warum hat das beim Coronavirus bisher nicht wirklich geklappt?

Florian Schmidt: Grundsätzlich muss man sagen: Eine passive Immunisierung kann immer nur komplementär zu einer Impfung erfolgen. Aber sie hat auch bestimmte Vorteile. Man kann nämlich Patienten helfen, die nicht auf die Impfung ansprechen oder wegen einer chronischen Erkrankung gar nicht geimpft werden können. Bei Covid-19 ist der Knackpunkt: Man muss diese Antikörper früh genug verabreichen, je früher desto besser. Bisher war dafür ein Aufenthalt im Krankenhaus notwendig.

Gilt das auch für Ihren Ansatz mit sogenannten Nanobodies als Therapeutikum?

Florian Schmidt: Wir arbeiten daran, die Sache einfacher zu machen. Idealerweise sollte so eine Immunisierung auch zu Hause möglich sein. Ob die Nanobodies auch zu einem späteren Zeitpunkt der Krankheit wirksam sind, untersuchen wir gerade.

Was haben sie in ihrer jüngst in „Science“ veröffentlichten Studie herausgefunden?

Florian Schmidt: Unser Körper bildet bekanntlich Antikörper, um Viren zu inaktivieren. Das ist auch bei Kamelen der Fall – der Unterschied ist nur, dass diese Antikörper deutlich einfacher gebaut sind. Wir haben Lamas und Alpakas gegen das Coronavirus immunisiert, die Antikörper aufgereinigt und die genetische Information dafür nach bestimmten Eigenschaften untersucht. Auf diese Weise fanden wir Fragmente der Antikörper, die spezifisch an das Virus binden und es auch neutralisieren können. Das sind die, wie wir sie nennen, Nanobodies. Im zweiten Schritt unserer Arbeit haben wir uns dann mit Hilfe von Kollegen aus Schweden und den USA die Struktur der Nanobodies genauer angesehen. Das Ergebnis war: Wenn wir verschiedene Nanobodies kombinieren, können wir die Wirkung noch um den Faktor 100 verbessern.

Die Viren werden noch besser neutralisiert?

Florian Schmidt: Erstens das, weil die Nanobodies an verschiedenen Stellen des Virus binden. Und zweitens kann man auf diese Weise auch verhindern, dass das Virus sogenannte Fluchtmutationen bildet, um sich dem Zugriff der Antikörper zu entziehen.

Wie funktioniert das im Detail?

Florian Schmidt: Die Nanobodies verhindern, dass das Coronavirus an die Wirtszelle bindet. Und sie bringen die Viren in einen Zustand, den sie normalerweise durch die Bindung an einen richtigen Zellrezeptor einnehmen. Dabei geht ein Teil des Spike-Proteins verloren – das ist nicht rückgängig zu machen, das heißt: Das Virus ist nicht mehr infektiös. Man könnte sagen: Wir haben das Virus auf diese Weise in eine Falle gelockt.

Auf welchem Niveau wurde die Wirksamkeit nachgewiesen – in Zellkulturen, im Tierversuch oder sogar schon am Menschen?

Florian Schmidt: Bisher überwiegend an Zellen von Menschen und Affen. Experimente an Mäusen laufen gerade. Für erste Tests am Menschen brauchen wir noch eine deutlich besser kontrollierte Herstellung der Nanobodies – das gehen wir ebenfalls gerade an. Diesen Forschungszweig übernimmt jetzt Dioscure, eine Ausgründung unserer Universität.

Von welchem Zeithorizont sprechen wir?

Florian Schmidt: Wir streben erste klinische Tests in diesem Jahr an, so viel lässt sich sagen. Wobei wir von der Universität nur wissenschaftlich beraten, die Umsetzung übernimmt wie gesagt Dioscure. Klinische Versuche sind natürlich aufwändiger, weil man die Wirkstoffe nicht so wie bisher einfach im Labor herstellen kann, sondern auch alle möglichen Risiken ausschließen muss. Und natürlich ist das Ganze auch von einem regulativen Prozess begleitet, also ein bisschen Bürokratie plus gerechtfertigte Sicherheitsmaßnahmen.

Könnte es zu einer unerwünschten Wechselwirkung mit den jetzt erhältlichen Corona-Impfungen kommen?

Florian Schmidt: Davon würde ich nicht ausgehen. Was die bisherigen Erfahrungen mit Nanobodies in der Klinik betrifft, sehe ich da keine Risiken. Auch nicht in der Biologie des Virus: Die Antikörper der aktiven Impfung binden zwar auch an das Spike-Protein des Virus, aber sie binden nicht an die Nanobodies.

Was sagen Sie zur Ausbreitung der neuen, infektiöseren Varianten des Coronavirus in Deutschland und Österreich?

Florian Schmidt: Das ist natürlich eine besorgniserregende Situation, die nochmals besondere Vorsicht und leider auch ein bisschen Durchhaltevermögen verlangt. Aber die Chancen, dass die Impfungen auch gegen diese Varianten schützen, sind sehr gut. Wir testen übrigens gerade die britische Variante des Coronavirus im Labor: Bisher sieht es sehr gut aus, ich denke, die Nanobodies werden auch mit den neuen Mutationen keine Schwierigkeiten haben.

Der einzige Schönheitsfehler: Für das gegenwärtige Wettrennen mit den mutierten Viren bringt das leider noch nichts.

Florian Schmidt: Das ist in der Tat der Fall. Aber wir verfolgen diesen Ansatz mit Volldampf.

Wann könnte ein zugelassenes Therapeutikum zur Verfügung stehen?

Florian Schmidt: Es gibt große Anstrengungen, das Verfahren zu beschleunigen, der Bedarf wäre natürlich da. Wir haben in diesem Jahr gesehen: Die Entwicklung von der Klinik bis zur Zulassung ist in sechs bis neun Monaten möglich. Wenn alles optimal läuft.

Das heißt, 2022 wäre möglich?

Florian Schmidt: Das kann man so sagen. Wann genau in diesem Jahr, lasse ich offen.