Kohlmeise auf Ast
APA/BIRDLIFE/PETER BUCHNER
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Buch

Die Geschichte der Bürgerwissenschaften

Wenn Nichtwissenschaftler bei der Forschung helfen, nennt man das „Citizen Science“. Die breite Beteiligung etwa beim Sammeln von Beobachtungsdaten hat in Österreich eine lange Tradition. Ein Sammelband beleuchtet nun Geschichte und Gegenwart der „Bürgerwissenschaften“.

Vögel zählen, das Wetter beobachten oder bei Ausgrabungen helfen. Wenn Bürgerinnen und Bürger Wissenschaftlern bei Forschungsprojekten helfen, nennt man das ‚Citizen Science‘, also Bürgerwissenschaften. Menschen mit und ohne akademischen Hintergrund sammeln dabei Daten, die von Wissenschaftlerinnen ausgewertet werden. Das hat bereits eine lange Tradition, doch erst seit Kurzem versucht man, professionellere Rahmenbedingungen für Citizen Science Projekte aufzustellen.

Ein neues Buch mit dem Titel „The Science of Citizen Science“ fasst den aktuellen Stand der „Bürgerwissenschaften“ zusammen, beigetragen haben 100 Autoren aus über 20 Ländern. Das Buch ist über Open Acces gratis verfügbar. Erste Herausgeberin ist Katrin Vohland, Generaldirektorin des Naturhistorischen Museums Wien.

Plattform Österreich forscht

Zwei der österreichischen Autoren sind Florian Heigl und Daniel Dörler, Zoologen von der Universität für Bodenkultur in Wien. Sie haben 2014 die Plattform Österreich forscht gegründet, koordiniert und finanziell unterstützt wird sie von der Boku. Dort können Wissenschaftler verschiedener Unis ihre Citizen Science Projekte vorstellen, Interessierte können sich hier melden. Rund 50 Projekte sind momentan gelistet.

BürgerInnen sammeln Daten

Citizen Science biete viele Vorteile für Wissenschaftler, so Florian Heigl. Einerseits könne ein viel größerer geographischer Raum abgedeckt werden. Man denke etwa an Vogelzählungen, oder auch an das Projekt Roadkill von Florian Heigl. Mit Hilfe der Bevölkerung versucht er zu erheben, welche Tiere auf Straßen in Österreich zu Tode kommen und was die Gründe dafür sein könnten.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 22.1. um 13.55

Er alleine kann aber Österreichs Straßen nicht abfahren und so bieten die Autofahrerinnen in jedem Bundesland die perfekte Chance, das Projekt so breit wie möglich anzulegen. Freilich müssen sich die Beteiligten an genaue, vorformulierte Dokumentationsvorgaben halten, all das wird ihnen in einer kurzen Einschulung beigebracht.

Inhaltlicher Input

Andererseits können Bürgerinnen und Bürger auch eigene Fragestellungen an die Wissenschaftler weitergeben und so einen wichtigen Input leisten, wohin sich die Forschung entwickeln könnte.

Als Beispiel führen die beiden das Projekt Deutsch in Österreich an, durchgeführt von der Universität Wien(www.univie.ac.at Hier bitten die Wissenschaftler darum, neue Forschungsfragen zum Thema Deutsch in Österreich einzusenden, um neue relevante Aspekte zu erschließen.

Bürgerwissenschaften ist eigentlich eine jahrhundertealte Tradition, so Daniel Dörler. Seit Mitte der 1990er Jahre prägten Wissenschaftler aus dem anglosächsischen Bereich den Begriff der Citizen Science. Er steht gleichermaßen für das Datensammeln mithilfe der Bevölkerung, als auch für die Demokratisierung der Wissenschaft. Bürgerinnen und Bürger sollen die Möglichkeit bekommen, Wissenschaft mitzugestalten und zu steuern, so Daniel Dörler.

Lange Tradition in Österreich

In Österreich etablierte sich Citizen Science erst in den 2010er Jahren so richtig an den Unis. Doch bereits im Habsburgerreich gibt es Wissenschaftsprojekte, bei den Bürger sich beteiligen, Dörler und Heigl, arbeiten gerade an einer historischen Publikation zur Geschichte der Citizen Science in Österreich.

2017 zählten die beiden über 100.000 Citizen Scientists bei den Projekten auf der Plattform Österreich forscht. Für die engagierten Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Koordinationsarbeit der Wissenschaftler, wünschen sie sich mehr Anerkennung und insbesondere mehr finanzielle Unterstützung. Denn Citizen Science sei nicht einfach eine „billige“ – weil auf Ehrenamt basierende – Wissenschaft. In Österreich gibt es bereits erste Pilotprogramme zur Förderung von Citizen Science durch den FWF. „Hier würden wir uns aber wünschen, dass diese Programme ausgeweitet werden und komplette, mehrjährige Citizen Science Programme damit durchgeführt werden können“, so Florian Heigl.

Nicht nur ein Hobby für Akademiker

Momentan beteiligen sich mehrheitlich Akademikerinnen als Bürgerwissenschaftler, das liegt auch daran, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass sie hier mitmachen können, so Dörler und Heigl. Mehr Öffentlichkeitsarbeit ist daher eine der zukünftigen Aufgaben.

Das Buch „The Science of Citizen Science“ beschäftigt sich mit dem Thema Citizen Science auf einer internationalen Ebene. Seit einiger Zeit versucht man, professionelle Rahmenbedingungen aufzubauen. Dazu gehören Themen wie die Qualität von Citizen Science bei der Datenerhebung, die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern ins das gesamte Forschungsprojekt und der internationale Austausch auf den Plattformen. Auch die Fragen, wie Citizen Science zum Umweltmonitoring oder zur gesellschaftlichen Transformation beitragen kann, wird im Buch thematisiert. Ebenso ethische Aspekte, die den Umgang mit Daten und Persönlichkeitsrechten umfassen oder die Einbindung von Künstlicher Intelligenz.

Zielgruppe des Buches ist die internationale Citizen Science Community, die Praktikerinnen und Praktiker und insbesondere die Universitäten. Es soll ihnen erleichtern, einzelne Teile in ihren Lehrplan zu übernehmen, oder vielleicht sogar Professuren für Citizen Science einzurichten.