„Wir haben etwas gefunden – aber es ist ein sehr mysteriöses Signal“, sagt Florian Reindl. Was der Physiker von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften meint, ist das sogenannte DAMA-Experiment. „DAMA“ steht für „Dark Matter“, also für die Dunkle Materie, nach der die Wissenschaftler seit den 90er-Jahren unterhalb des Gran-Sasso-Gebirgsmassivs in Italien suchen.
In diesem von anderthalb Kilometer Fels geschützten Untergrundlabor befindet sich ein Detektor aus Natriumiodid, eine Viertel Tonne schwer – wenn die unsichtbaren Teilchen der Dunklen Materie durch diese Natriumiodid-Kristalle hindurchrasen, sollten sie hin und wieder an einem Atomkern streuen und Lichtblitze aussenden.
Einmal ist keinmal?
Geblitzt hat es im Gran-Sasso-Labor in den letzten 20 Jahren nicht zu knapp. Laut der letzten Zusammenschau der Experimente hat das Signal mittlerweile eine Stärke erreicht, die einen Zufall zu 99,99999… Prozent ausschließt – mit 36 Neunern hinter dem Komma. Ein Irrtum ist immer möglich, doch die Wahrscheinlichkeit dafür ist aberwitzig klein.
Auch die Theorie geht mit den Ergebnissen konform. Laut Modellen von Kosmologen taucht die Erde bei der Umrundung der Sonne durch ein Meer Dunkler Materie. „Dabei verändert sich die Geschwindigkeit dieser Teilchen relativ zur Erde“, sagt Reindl, „im Sommer haben wir quasi Gegenwind und im Winter Rückenwind.“

Dieses Auf und Ab zeigt sich in den Daten von DAMA, das Signifikanzniveau – ein Maß für statistische Sicherheit – beträgt 13 Standardabweichungen, zum Vergleich: Als der erstmalige Nachweis des Higgs-Teilchens am Kernforschungszentrum CERN bekanntgegeben wurde, lag die Güte der Daten bei fünf Standardabweichungen. Man könnte also im Gran-Sasso-Labor bereits die Sektkorken knallen lassen. Wenn, ja wenn es eine unabhängige Bestätigung gäbe. Und hier wird es kompliziert.
Falsche Annahmen?
Experimente, die der Dunklen Materie ebenfalls mit Natriumiodid-Detektoren habhaft werden wollten – etwa DM-Ice in der Antarktis, COSINE-100 in Südkorea oder ANAIS in Spanien – sahen keine derartigen Signale. Was vermutlich daran liegt, dass die Nachweisschwelle nicht erreicht wurde oder die Datenlage wegen der kurzen Laufzeit noch zu dünn ist.
Noch rätselhafter wird die Situation durch Experimente, die auf andere Detektortypen aus Edelgasen oder Germanium setzen. „Nichts zu sehen“, hieß bisher die Botschaft der Teams von PandaX in China, EDELWEISS in Frankreich und SuperCDMS in den USA. Im Grunde führen die letztgenannten Versuche sogar zu einem fundamentalen Widerspruch. Wenn die Forscherteams aus China, Frankreich und den USA richtig liegen, müssen die Ergebnisse der DAMA-Kollaboration falsch sein. Es sei denn, man hat etwas in den Modellannahmen übersehen.
COSINUS soll Klarheit bringen
Das ist die Richtung, die Florian Reindl in seinen Forschungen einschlägt. Möglich, dass die Streuung der Dunkle-Materie-Teilchen komplizierter ist als gedacht: „Vielleicht tritt die Dunkle Materie nicht mit jedem Detektormaterial in Wechselwirkung“, vermutet der österreichische Physiker. Den Beweis dafür will er jetzt mit einem neuen Experiment namens COSINUS antreten.
Auch dieser Versuchsaufbau soll die Dunkle Materie mit Hilfe von Natriumiodid-Kristallen nachweisen, nur kommen diesmal zu den Lichtdetektoren auch superempfindliche Thermometer hinzu. Damit können die Physiker rekonstruieren, wie viel Energie ein Teilchen an seine Umgebung abgegeben hat und wo es zu einer Kollision mit den Kristallatomen kam. Die Messungen sollen im nächsten Jahr starten.

So ein physikalischer Steckbrief wird auch notwendig sein, um die Dunkle Materie endgültig ins von Teilchen und Feldern geprägte Weltbild einzupassen. Aus kosmologischer Sicht spricht alles für ihre Existenz, ohne zusätzliche unsichtbare Materie wären die Rotationen der Galaxien unerklärlich, eigentlich müssten Galaxien sogar auseinanderbrechen, gäbe es die Dunkle Materie nicht.
Gesucht: Zweites Signal
Nur wäre es fein, wenn man solche Überlegungen durch Messungen untermauern könnte. Aus einer plausiblen Theorie wird nach alter Tradition eben erst dann eine solide, sofern sie über ein Standbein im Labor verfügt. Beziehungsweise über mehrere: Reindl ist der Ansicht, dass es neben DAMA noch zwei oder drei unabhängige Bestätigungen braucht, bis man von einem Durchbruch sprechen kann. Nobelpreiswürdig wäre der direkte Nachweis zweifelsohne, durchaus vergleichbar mit der Entdeckung des Higgs-Teilchens anno 2012.
Damals hatten die CERN-Forscher freilich einen entscheidenden Vorteil. Die Suche war von Beginn an mit zwei getrennten Experimenten angelegt. Als die Physiker das Higgs-Boson endlich in ihren Daten sehen konnten, hatten sie die unabhängige Bestätigung bereits in der Tasche.