Hände einer Pflegeschwester und der Bewohnerin eines Seniorenheims
APA – BARBARA GINDL
APA – BARBARA GINDL
24-Stunden-Betreuung

Alte Probleme, neue Belastungen

Ausländische 24-Stunden-Betreuungskräfte in Österreich arbeiten häufig unter prekären Bedingungen. Die Coronavirus-Pandemie hat für zusätzliche Belastungen gesorgt, berichten Forscherinnen der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien in einem Gastbeitrag – Klientinnen und Klienten mussten etwa über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten gepflegt werden.

Während der Bedarf an Pflege in Österreich wächst, sichert das 24-Stunden-Gesetz die Verfügbarkeit von Betreuungskräften aus den EU-Ländern in Osteuropa. Das Gesetz erlaubt ausländischen Betreuungskräften, über mehrere Wochen bei Betreuungsbedürftigen zu wohnen, um sie rund um die Uhr zuhause zu pflegen. Das System beruht auf der Mobilität der 24-Stunden-Betreuungskräfte sowie einem Lohngefälle zwischen den Ländern.

Über die Autorinnen

Luzie Dallinger, Liz Brentjens, Nina Schulze und Magdalena Weichselbraun untersuchten die Situation der 24-Stunden-Betreuungsrkäfte im Rahmen eines Kurses des Masterprogramms Socio-Ecological Economics and Policy an der WU Wien und stellen sie hier einem Gastbeitrag vor.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 26.2., 13:55 Uhr.

Die Arbeitsbedingungen für ausländische 24-Stunden-Betreuungskräfte sind oft prekär: Die Verpflichtung zu ständiger Verfügbarkeit, unzureichende soziale Sicherung und das Verlassen der Heimat über mehrere Wochen führen zu Belastung. Die Coronavirus-Pandemie verdeutlicht nun die Schwächen des Systems und sorgt für neue Herausforderungen. Darunter leiden neben den österreichischen Familien vor allem die Betreuungskräfte. Deshalb untersucht eine Studie die Entwicklungen während der Pandemie anhand von Interviews mit wichtigen Akteuren aus dem Sektor, darunter zwei Betreuungskräfte, drei Vermittlungsagenturen, sowie einer Interessensgemeinschaft von 24-Stunden-Betreuungskräften.

Drei Monate hintereinander gearbeitet

Als im März 2020 erste Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie verhängt wurden, konnten sich die Betreuungskräfte plötzlich nicht mehr auf offene Grenzen verlassen. Diese sind die Grundlage für ein häufiges Modell, bei dem zwei 24-Stunden-Betreuungskräfte im Wechsel zwei bis fünf Wochen bei den Betreuungsbedürftigen verbringen, und danach in ihr Heimatland zurückkehren.

Als Folge arbeiteten manche von ihnen bis zu drei Monate hintereinander. Laut der Interessensgemeinschaft ist dieser Zeitraum zu lang: „Diese Arbeit ist psychisch und physisch sehr belastend, eine Abgrenzung zur Freizeit ist schwierig. Es gab viele Burnouts.“ Eine Vermittlungsagentur erklärt weiter: „Die Betreuer*innen pflegen unterschiedliche Krankheitsfälle. Sehr häufig ist das heute Demenz, bis hin zu Leuten, die keine Sekunde aus den Augen gelassen werden können, weil sie umfallen könnten. Und wenn sie das jetzt über so einen langen Zeitraum machen, sind die Betreuer*innen sehr angespannt. Sie können oft gar nicht gut schlafen, weil die Klient*in eben dreimal die Nacht aufstehen und auf die Toilette muss."

Eine Pflegehausbewohnerin und eine Pflegehelferin gehen mit einem Rollator einen Gang entlang.
APA/dpa/Angelika Warmuth

Noch weniger Auszeiten, Probleme mit Zuschüssen

Um die Betreuungskräfte von einem Infektionsrisiko abzuschirmen, bestanden die Angehörigen der Klient*innen oft darauf, dass die Betreuungskräfte die Wohnung möglichst wenig verlassen sollten. Auch kleinere Auszeiten, die etwa während Besuchen von Angehörigen entstehen, fielen häufig weg. Zusätzlich kann die Verlängerung zu Druck auf die Beziehung mit den Klient*innen oder der eigenen Familie im Heimatland führen.

Jene Betreuungskräfte, die den Zeitraum in ihren Heimatländern verbrachten, konnten derweil gar nicht arbeiten – was aufgrund der Selbständigkeit einen vollständigen Einnahmeausfall bedeutete. Manche Betroffenen vereinbarten mit ihren Kolleg*innen einen Ausgleich der Arbeitszeiten über die Sommermonate, Rechtsansprüche darauf gab es jedoch nicht.

Obwohl die österreichische Regierung finanzielle Hilfen anbot, hatten die Betreuungskräfte oft Probleme bei der Beantragung. Sowohl der Härtefall-Zuschuss für Einkommensausfälle von Selbstständigen als auch der „Bleib da!“-Bonus für ausländische 24-Stunden-Betreuungskräfte erfordern ein österreichisches Bankkonto, das wiederum an den Hauptwohnsitz in Österreich gekoppelt ist. Obwohl die Betreuungskräfte in Österreich Steuern zahlen, führen viele den Wohnsitz in ihren Heimatländern. Für zusätzliche Schwierigkeiten sorgte außerdem die Sprachbarriere, da bürokratische Anträge selbst bei grundlegenden Deutschkenntnissen eine Herausforderung darstellen.

Tests selbst organisiert

Für den 24-Stunden-Betreuungssektor relevante Informationen der österreichischen Behörden zu Pandemie-Maßnahmen waren überwiegend nur auf Deutsch verfügbar. Auch verunsicherten unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern und EU-Staaten. Einige Fragen blieben ungeklärt, etwa zum Verfahren bei Coronavirus-Fällen unter den Betreuungskräften.

Die Organisation von Tests und Transport mussten die Agenturen, Familien oder Betreuungskräfte selbst übernehmen, vor allem anfangs erschwert durch mangelnde Testkapazitäten und langsame Kostenrückerstattung. Um den Transport zu bewältigen, überquerten Betreuungskräfte die Grenzen oft zu Fuß. Neben tatsächlich geschlossenen Grenzen schreckten manche Betreuungskräfte auch vor der Reise nach Österreich zurück, weil sie befürchteten, hinterher nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren zu können.

In Bussen oder Taxis sahen sie sich außerdem einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt. Ein weiteres Infektionsrisiko besteht in den Familien. „Für viele ist es selbstverständlich, dass die Betreuer*in einen Corona-Test vorweisen soll, aber umgekehrt gilt das dann nicht mehr. Das sollte gerecht sein“, findet eine 24-Stunden-Betreuungskraft. Neben der Angst um die eigene Gesundheit fürchten Betreuungskräfte eine Infektion auch aufgrund der damit verbundenen Arbeitsunfähigkeit.

Forderungen des Sektors

Uneinigkeit herrscht über die Frage, ob die Pandemie die Verhandlungsposition für 24-Stunden-Betreuungskräfte verbessert oder verschlechtert hat. Während eine Agentur von einer gestärkten Position für Betreuungskräfte durch das verringerte „Angebot“ sprach, nahmen die Betreuungskräfte einen stärkeren Konkurrenzdruck wahr. „Aus Angst vor dem Jobverlust arbeiten manche unter noch schlechteren Bedingungen“, erklärte eine Betreuerin.

Insgesamt sind die Bedingungen für die Betreuungskräfte stark abhängig von ihrer Vermittlungsagentur sowie den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Eine offizielle Interessenvertretung für ausländische 24-Stunden-Betreuungskräfte fehlt bisher. Immerhin entstanden während der Pandemie neue Initiativen, wie etwa den Versuch, Zusammenschlüsse von 24-Stunden-Betreuungskräften aus einzelnen Ländern zu verbinden.

Auch zeigte die Pandemie die Abhängigkeit des Pflegesystems von ausländischen Betreuungskräften und sorgte oft für deren gesteigerte Anerkennung. Wie bei vielen systemrelevanten Berufen reicht das jedoch nicht aus. Stattdessen wünschen sich die Betreuungskräfte bessere Arbeitsbedingungen und eine Reform des 24-Stunden-Betreuungssektors, etwa durch angemessene soziale Sicherung und einer gesetzlichen Interessenvertretung.