Arzneimittelentwicklung

Pharmaindustrie profitiert von Grundlagenforschung

Die aktuelle Impfstoffentwicklung mache einen gravierenden Systemfehler deutlich, erklärt die Sozialmedizinerin Claudia Wild. Der Großteil der risikoreichen Grundlagenforschung werde von der öffentlichen Hand getragen, die Gewinne hingegen privatisiert. In akuten Krisen wie einer Pandemie könnte man unter anderem auch den Patentschutz lockern.

Noch nie wurden derart große Summen öffentlicher Gelder in Forschung und Entwicklung gesteckt, wie aktuell zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie. Trotzdem hakt es in der Impfstoffproduktion und -verteilung. Ein guter Zeitpunkt für einen Paradigmenwechsel im Arzneimittelforschungs- und Entwicklungssystem, denkt Claudia Wild, Leiterin des Austrian Institut for Health Technology Assessment.

Großteils öffentlich finanziert

Die Kosten der Coronavirus-Impfstoffentwicklung seien sehr intransparent, sagt die Sozialmedizinerin. Klar sei aber, dass über die Grundlagenforschung viel öffentliches Geld in die Medikamentenentwicklung fließe. Die großen Pharmafirmen würden die Forschungsentwicklungen an Universitäten und bei kleinen Startups genau beobachten, um profitable Innovationen abzuschöpfen. Das Geschäftsmodell folge einem „search and development“ und keinem „research and development“.

„In Wahrheit haben die großen Pharmaunternehmen, man sieht das am Geschäftsmodell von AstraZeneca und Pfizer, nicht selbst geforscht.“ Vielmehr sei der Großteil der risikoreichen Grundlagenforschung öffentlich finanziert worden. Durch öffentliche Forschungsgelder, die etwa an die Oxford University oder an das kleine Startup BioNTech flossen. Die großen Pharmafirmen seien erst dazugekommen, als die Impfstoffforschung bereits fortgeschritten war. Die Pharmafirmen würden die Impfstoffe produzieren und verteilen, den Großteil der Forschungskosten tragen sie aber nicht, so Wild.

Wer trägt das Risiko?

„Wir wissen beispielsweise aus verschiedenen Studien, dass zwei Drittel der Forschungs- und Entwicklungskostenkosten für alle Medikamente, die zwischen 2010 und 2016 in den USA zugelassen worden sind, durch die öffentliche Hand getragen wurden“, argumentiert Claudia Wild. Problematisch sei dieses System, da die Gewinne privatisiert werden und die öffentliche Hand indirekt ein zweites Mal für die Forschung zahlen müsste, indem sie die Produkte kauft.

Dem widerspricht Alexander Herzog, Geschäftsführer der Pharmig, Verband der pharmazeutischen Industrie Österreich. Die Grundlagenforschung würde allgemeine Wirkmechanismen untersuchen und hätte nichts mit der Produktentwicklung zu tun. „Der Prozess von der Grundlagenforschung hin zu einem allfälligen Produkt, das dem Patienten zu Gute kommt, ist ein sehr langer Prozess, der nicht nur viel Geld verschlingt, sondern auch ein immens hohes Risiko des Scheiterns beinhaltet.“ Und dieses Risiko würden die pharmazeutischen Unternehmen tragen.

Alternative Modelle gefragt

Mit dem aktuellen Modell der Arzneimittelentwicklung sind viele aber schon länger unzufrieden. Es brauchte mehr Transparenz, sowohl was die Kosten der Industrie als auch die Höhe der öffentlichen Förderungen betrifft, und alternative Modelle, fordert etwa Wild. Über solche Modelle wird auch schon länger nachgedacht. Beispielsweise hat die EU Kommission im vergangenen Herbst eine Arzneimittelstrategie für Europa vorgelegt.

Eine Reform-Idee sieht vor, Preisgelder für die Entwicklung bestimmter Arzneimittel auszuschreiben. Pharmafirmen könnten sich für diese Arzneimittelentwicklung bewerben und würden für die Erreichung bestimmter Meilensteine Geld bekommen, beispielweise für die Weiterentwicklung eines Moleküls (Grundlagenforschung) oder die Dosisfindung (Phase II-Studie). Am Ende der einzelnen Entwicklungsschritte würde das Medikament als allgemeines öffentliches Gut der Allgemeinheit „gehören“ und könnte auch an verschiedenen Orten weltweit produziert werden. Das Problembewusstsein, dass das herkömmliche System fehlgeleitet sei, sei auf politischer Ebene angekommen, sagt die Gesundheitsexpertin Claudia Wild. Weshalb sie auch zuversichtlich ist, dass es bei öffentlich relevanten Medikamenten, wie etwa Antibiotika, zu einem Systemwechsel in der Arzneimittelentwicklung kommen könnte.