Darmzotten: Innenansicht des Darmes (Modell)
skd – stock.adobe.com
skd – stock.adobe.com
Zensus

140.000 Virenarten im Darm

Wissenschaftler haben im menschlichen Darm eine erstaunliche Vielfalt an Viren entdeckt: Im Ökosystem des Verdauungstraktes tummeln sich 140.000 unterschiedliche Virenarten. Der Großteil ist harmlos.

„Metagenomics“ nennt sich die Methode, die Forscher vom Wellcome Sanger Institute nun im Fachblatt „Cell“ vorgestellt haben. Im Prinzip geht es darum, alle verfügbare Erbinformation von Viren zusammenzutragen und dann in eine Datenbank einzuschleusen.

Die Auswertung dieser genetischen Volkszählung im Darm zeigt: Mehr als die Hälfte der identifizierten Viren war bisher unbekannt, die allermeisten gehören zur Gruppe der Bakteriophagen, sie vermehren sich also in den Mikroben der Darmflora. Ihr Erbgut besteht typischerweise aus DNA – und nicht aus RNA, wie etwa beim Coronavirus, das sich bekanntlich auch im Darm ausbreiten kann.

Von wegen schädlich

„Man muss sich klarmachen, dass nicht alle Viren schädlich sind, sie sind ein integraler Bestandteil des Darm-Ökosystems“, sagt Studienautor Alexandre Almeida. Das zeigt sich unter anderem daran, dass die Mehrzahl der insgesamt 28.000 untersuchten Proben von Menschen stammen, die keinerlei Krankheitssymptome aufwiesen. Eine Unzahl an Viren trugen sie dennoch in ihrem Körper.

Nachdem Darmbakterien erwiesenermaßen Krankheit wie Wohlbefinden des Menschen beeinflussen – von Diabetes über das Immunsystem bis hin zu Depressionen – liegt der Schluss nahe, dass man die Wirkungskette in zukünftigen Studien weiterverfolgen sollte, bis hin zu den Bakteriophagen.

Mikroskopische Aufnahme: Phagen docken an eine Bakterienzelle an
Wikimedia Commons
Bakteriophagen können schädliche Bakterien abtöten

Möglicherweise, so hoffen die Forscher um Almeida, könne man das Ökosystem Darm durch gezielte Interventionen wieder ins Gleichgewicht bringen. Dass sich Phagen in Durchfall auslösenden Bakterien vermehren, weiß man etwa bereits seit dem Ersten Weltkrieg – und das dürfte nicht die einzige Anwendungsmöglichkeit sein. Wissenschaftler der University of California in Los Angeles haben Phagen bereits erfolgreich bei der Bekämpfung von Akne-Bakterien eingesetzt, positiver Nebeneffekt: Die Methode wäre ein probates Mittel, um den Gebrauch von Antibiotika einzuschränken.

Unsichtbare „Strippenzieher“

Ähnliches gilt für die Ökosystem da draußen. Wegen ihres nachhaltigen Einflusses auf die geologischen und chemischen Kreisläufe bezeichnen Wissenschaftler die winzigen Bakteriophagen mittlerweile als „Strippenzieher“ der Weltmeere. Neue Erkenntnisse sind in der Viren-Metagenomik wohl noch einige zu holen, allein schon wegen der gigantischen Zahlen, mit denen man es hier zu tun hat. Vor 20 Jahren haben Forscher in einer Studie abgeschätzt, wie viele Viren es auf dem gesamten Erdball geben könnte: Es sind 10 hoch 31 – also zehn Billiarden Billiarden.