Unterrricht in einer österreichischen Schule, Perspektive von hintern, jemand hebt die Hand
APA/HANS PUNZ
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Kritik

Jugoslawienkriege kein Thema im Unterricht

In Österreich leben hunderttausende Menschen, die einen ex-jugoslawischen Migrationshintergrund haben. Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien kommen dennoch kaum im österreichischen Geschichtsunterricht vor. Ein Wiener Forschungsprojekt untersucht, warum und wie man das ändern könnte.

Viele Jugendliche in Österreich haben Eltern oder Großeltern, die die Westbalkankriege in den 1990er Jahren selbst erlebt haben. Doch an den österreichischen Schulen, speziell im Geschichtsunterricht, werden die Kriege und Konflikte in Ex-Jugoslawien nur selten thematisiert, so lautet ein Ergebnis des aktuellen Forschungsprojekts von der Germanistin, Journalistin und Außenpolitik-Expertin Teresa Reiter. Sie ist derzeit Gastforscherin am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien (IWM).

Als Lehrstoff nicht verpflichtend

Im Lehrplan für die Oberstufe stehen Themen wie ‚Nationalismus‘ oder auch ‚Genozide des 20. und 21. Jahrhunderts‘ im Fach Geschichte. Ob die Westbalkankriege als Beispiel dafür im Unterricht besprochen werden, kann die Lehrperson allerdings selbst entscheiden. Lehrkräfte wiederum richten sich oft nach dem, was in den Geschichtslehrbüchern steht, und auch dort ist das Thema nicht verpflichtend vorgesehen, erklärt Teresa Reiter: „Das hat zur Folge, dass es in manchen Geschichtebüchern drinnen steht und in anderen nicht. In dem Buch, das in der Oberstufe am meisten verwendet wird, ist es nicht drin“, so Reiter, die für ihr Forschungsprojekt Geschichte-Lehrbücher analysiert, aber auch mit Lehrerinnen und Lehrern aus ganz Österreich gesprochen hat, sowie mit Schülerinnen und Schülern.

Angst vor Konflikten

Einerseits wollte sie wissen, warum die sogenannten Westbalkankriege im Geschichtsunterricht so wenig vorkommen, und andererseits, was man dagegen tun kann. Ihre Ergebnisse: Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien werden oft aus Zeitgründen nicht behandelt. Aber auch aus Angst vor Eskalation, erklärt Reiter: „Es ist für viele nach wie vor ein heikles Thema, die Lehrkräfte haben da auch Angst oder einen gewissen Respekt davor, dass sie möglicherweise Konflikte oder Traumata auslösen könnten.“

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 19.2. um 13:55

Gerade die Schule biete einen geschützten Rahmen, indem möglichst objektiv diskutiert werden kann, meint Teresa Reiter. Im Privatleben seien die Kinder immer wieder ideologisch motivierten Rednern in religiösen oder kulturellen Vereinen ausgesetzt. Sie berichtet etwa von einer Lehrerin die angab, sie habe in ihrer Klasse oft das Gefühl, dass es unterschwellige, oft auch nationalistische Konflikte in diesem Bereich gebe, „und ihr war eben lieber, das im Unterricht durchzugehen und auch in einem Rahmen, wo es eben Regeln gibt, wie man da gemeinsam diskutiert, darüber zu sprechen.“

Respekt und Integration

Das Thema Westbalkankriege gehört in den österreichischen Geschichtsunterricht, findet Teresa Reiter. Auch aus Respekt vor dem hohen Bevölkerungsanteil aus der Region Ex-Jugoslawien und deren Nachkommen, deren Geschichte sich an Österreichs Schulen eben auch repräsentiert finden sollte. Zumal es sich um eine Region handelt, die direkt an Österreich angrenzt, wenn auch nicht alle Staaten heute zur EU gehören. Zwar seien die Schülerinnen und Schüler bereits eine Generation, die großteils in Österreich geboren und aufgewachsen ist. Aus integrationspolitischer Sicht sei es trotzdem wichtig, diesen Teil der Geschichte zu thematisieren, um eben kulturelle, nationale oder religiöse Konflikte zu entschärfen.

Damit sich das in Zukunft mehr Lehrkräfte auch wirklich zutrauen, brauche es aber bessere Unterrichtsmaterialien und auch Fortbildungen zum Thema Westbalkankriege, meint Teresa Reiter. Diese zu entwerfen ist ein weiteres Vorhaben von ihr.