Coronaviren unter dem Elektronenmikroskop
APA/AFP/National Institutes of Health/Handout
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Coronavirus

Debatte um Ursprung des Virus neu entflammt

Ist SARS-CoV-2 auf natürlichem Weg entstanden oder stammt es doch aus dem Labor? Die meisten Forscherinnen und Forscher gehen von Ersterem aus. Ein deutscher Physiker hat nun aber Indizien gesammelt, die für die zweite These sprechen – und damit für Aufsehen gesorgt.

„Coronavirus kam aus Labor in Wuhan“, berichteten mehrere Medien am Donnerstag. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Fakt ist: Für beide Thesen gibt es keine letzten, eindeutigen Beweise. Sehr wohl aber mehr oder weniger gute Hinweise.

Physiker ohne „hochwissenschaftliche Beweise“

Roland Wiesendanger hat nun versucht, die besten für die Laborthese zusammenzutragen. Wiesendanger ist Physiker an der Universität Hamburg und auf seinem Gebiet renommiert und mehrfach ausgezeichnet. Er sollte mit den Methoden wissenschaftlicher Arbeit also bestens vertraut sein, doch seine nun vorgelegte “Studie“ entspricht diesen Standards nicht.

Erschienen ist sie auf „Researchgate“, einer Plattform, auf der Forscherinnen und Forscher Arbeiten gratis hochladen können. Von Kollegen oder Kolleginnen überprüft ist die Studie nicht. Sie zitiert zum Teil seitenweise aus anderen Arbeiten und macht keinen Unterschied zwischen YouTube-Videos, Internetlinks und Artikeln aus seriösen Fachzeitschriften. Insgesamt liefert Wiesendanger „keine hochwissenschaftlichen Beweise“, wie er in einer Aussendung der Uni Hamburg selbst schreibt.

“Extrem unwahrscheinliches Laborszenario“

Als wahrscheinlichstes Ursprungsszenario gilt bis heute, dass SARS-CoV-2 von einer Fledermausart ausgegangen und über ein Zwischenwirtstier auf den Menschen übergesprungen ist. Dass es sich um einen Laborunfall gehandelt hat, gilt hingegen als „extrem unwahrscheinlich“ – so hat es auch Ben Embarek, der Leiter der vor Kurzem aus China zurückgekehrten WHO-Mission, ausgedrückt. Ausschließen wollte er die These freilich ebenso wenig wie WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus, der nach der Mission betonte, dass „weiterhin alle Optionen auf dem Tisch liegen“.

Kein Zwischenwirt und riskante Forschung

Wiesendanger legte nun Indizien für die Laboroption vor. Ein Argument: Im Gegensatz zu früheren Coronavirus-Epidemien (SARS und MERS) konnte bis heute kein Zwischenwirtstier identifiziert werden – das ist tatsächlich ein Forschungsdesiderat.

Ein weiteres Argument: An dem Labor in Wuhan wurde jahrelang „gain-of-function“-Forschung betrieben. Dabei werden Viren gentechnisch verändert, um ihre Funktionen zu „verbessern“. Damit können sie für den Menschen auch gefährlicher gemacht werden – Befürworter dieser Forschung argumentieren, dass man sich so besser auf in der Natur veränderte Viren vorbereiten kann. Wiesendanger zitiert aus seriösen Studien über in Wuhan hergestellte Gentech-Coronaviren, die besser an menschliche Atemwegszellen ankoppeln. „Gain-of-function“-Forschung gilt als hochriskant und umstritten – und war unter US-Präsident Barack Obama kurzzeitig in den USA verboten.

Altbekanntes und Unerkanntes

In der wichtigsten Frage, der molekularbiologischen Bewertung, ob das Virus natürlichen oder künstlichen Ursprungs ist, gibt Wiesendanger aber (wie auch im Rest seiner „Studie“) keine neuen Hinweise, sondern verweist auf eine umstrittene chinesische Virologin. Li-Meng Yan ist aus China in die USA geflohen und hat ihre Laborthesen-Behauptungen im September 2020 auf einen Preprint-Server hochgeladen – also wie Wiesendanger ohne Fachbegutachtung. Als wissenschaftliche Einrichtung gab Li-Meng Yan eine an, die Steve Bannon nahesteht, dem Ex-Chefstrategen von Ex-US-Präsident Donald Trump.

Was ebenfalls nicht unbedingt für die Qualität der „Studie“ des Hamburger Physikers spricht: Einen der wenigen Artikel, der tatsächlich in einer Wissenschaftszeitschrift erschienen ist und in seiner Richtung argumentiert, zitiert er nicht. „Ein künstlicher Ursprung von SARS-CoV-2 ist keine basislose Verschwörungstheorie, die man verdammen sollte“, hieß es im November in der Studie. „Forscher haben die Verantwortung, alle möglichen Ursachen in Betracht zu ziehen.“