Jake Angeli (auch bekannt als „QAnon-Schamane“ vom Sturm auf das US-Capitol) mit gehörnter Pelzhaube und der US-amerikanischen Flagge
JT/STAR MAX/IPx
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Psychologie

Wie Extremisten ticken

Verschwörungstheorien, Schwarz-Weiß-Denken, Gewaltfantasien: Warum entwickeln Menschen ein radikales Weltbild? Die britische Wissenschaftlerin Leor Zmigrod hat in der Psyche von Extremisten ein Muster entdeckt.

Wie Zmigrod in einer aktuellen Studie berichtet, geht die Empfänglichkeit für Extremismus offenbar mit Defiziten in der Wahrnehmung und im Denken einher: Der Informationsfluss im Gehirn ist bei den Betroffenen gedrosselt – und ruft das Bedürfnis hervor, die Komplexität der Welt durch ein einfaches Schema zu ersetzen. Über die Hintergründe ihrer Arbeit spricht die Psychologin von der University of Cambridge im ORF-Interview.

science.ORF.at: Frau Zmigrod, gab es in den letzten Jahren eine Zunahme von Extremismus – oder haben wir bloß den Eindruck, weil es mehr Medienberichte zu diesem Thema gab?

Leor Zmigrod: Das ist insgesamt schwer zu beantworten, sicher ist: Die Verbreitung von digitalen Medien und Online-Plattformen hat neue Formen des Extremismus ermöglicht, sei es nun auf der politisch linken oder rechten Seite. Online gibt es keine geografischen Begrenzungen, es ist nun einfacher mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten. Natürlich gab es auch früher Menschen mit extremen Ansichten, die unter Umständen bereit waren, für ihre Ideen zu sterben – aber die Art der Verbreitung hat sich verändert.

Welche Rolle spielt die Pandemie? Die bizarren Thesen der sogenannten QAnon-Bewegung haben beispielsweise in den letzten zwölf Monaten deutlich mehr Anhänger gefunden.

Leor Zmigrod: Wir müssen uns die Frage stellen: Warum finden Menschen extreme Ideologien anziehend? Das hat mit dem Bedürfnis zu tun, zu einer Gruppe zu gehören. Und mit dem Bedürfnis nach einer einheitlichen Erklärung der Welt, man könnte auch sagen: Es geht um Sicherheit und um die Suche nach Sinn. In Krisen – und da zähle ich die Pandemie natürlich dazu – ist es besonders schwierig, das Chaos um uns zu verstehen. Radikale Ideologien können dieses Bedürfnis befriedigen. Welche Auswirkungen die Pandemie hatte, können wir wohl erst in ein paar Jahren beurteilen – aber ich denke schon, dass sie den Boden für extreme Ansichten bereitet.

Radikale Ideologien können ihrem Inhalt nach sehr unterschiedlich sein, aber es gibt offenbar einen gemeinsamen Faktor – und zwar einen psychologischen, wie Sie in Ihrer Studie schreiben.

Leor Zmigrod: Wir haben herausgefunden, dass Menschen, die bereit sind, ihre Gruppe und ihre Ansichten mit Gewalt zu verteidigen, ein paar kognitive Merkmale gemeinsam haben. Sie sind geistig eher unbeweglich, sie neigen zu einfachen Kategorisierungen und verarbeiten Informationen aus der Umwelt relativ langsam. Das zeigen klassische psychologische Tests, bei denen unsere Probanden zum Beispiel Regeln erlernen oder die Form von Objekten erkennen mussten. Menschen, die zu extremen Ideologien neigen, schneiden bei solchen Aufgaben relativ schlecht ab.

Und sie haben auch ein schwach ausgeprägtes Arbeitsgedächtnis und eine herabgesetzte Impulskontrolle: Wenn man Schwierigkeiten hat, komplexe Inhalte zu verarbeiten, dann sucht man nach Ideologien, die eindeutige und schlüssige Erklärungen der Welt bieten. Ich möchte nochmals betonen, dass wir diese Tendenz mit Hilfe ganz normaler psychologischer Tests herausgefunden haben und nicht etwa durch Tests mit politischen Inhalten. Es ist erstaunlich, dass wir diese Parallelen sehen zwischen der Art und Weise, wie das Gehirn von Extremisten arbeitet und den Erklärungen der Welt, denen sie zuneigen.

Das Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion ist bereits im Gehirn angelegt?

Leor Zmigrod: Wir haben unsere Probanden nicht in den Hirnscanner gelegt, aber auf kognitiver Ebene sehen wir diese Tendenz, ja.

Was bedeutet das für die Praxis? Was kann man tun, um Radikalisierung zu vermeiden?

Leor Zmigrod: Man kann auf verschiedenen Ebenen ansetzen, zum einen bei der Bildung: Wir müssen unseren Kindern beibringen, Informationen ausgewogen zu verarbeiten. „Intellektuelle Bescheidenheit“ könnte man es auch nennen. Darüber hinaus wäre es auch wichtig, bei den Medien anzusetzen. Wie verbreiten Online-Plattformen extreme Narrative? Dieser Frage müssen wir uns stellen, es braucht es mehr Kontrolle und mehr Fakten-Checks. Wenn Menschen flexibel in ihrem Denken sind, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich extremen Ideologien zuwenden.