Schleimpilz Physarum Polycephalum
AFP/STEPHANE DE SAKUTIN
AFP/STEPHANE DE SAKUTIN
Einzeller

Wie sich ein Schleimpilz erinnert

Der einzellige Schleimpilz Physarum polycephalum dehnt sich im Extremfall über mehrere Quadratmeter aus – und kann eine Art Entscheidung über seine Wachstumsrichtung treffen. Dafür webt der Organismus über Botenstoffe Erinnerungen an Nahrungsorte in die Architektur seines netzwerkartigen Körpers ein.

Der Schleimpilz ist eine riesige Einzelzelle aus miteinander verbundenen Röhren. Sie bilden ein Netzwerk, das mehrere Zentimeter oder sogar Meter groß werden kann – als größte Zelle der Erde wurde der Pilz bereits ins Guinness-„Buch der Rekorde“ aufgenommen, wie die Technischen Universität München (TUM) in einer Aussendung zur nun im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlichten Studie schreibt. Die Fähigkeit, seinen röhrenförmigen Körper an eine sich ändernde Umgebung anzupassen, brachte ihm das Attribut „intelligent“ ein. Er nutze dieses Netzwerk als eine Art Gedächtnis – auch ohne ein Nervensystem zu haben.

Die Forscherinnen hatten ursprünglich die Nahrungsaufnahme des Einzellers verfolgt. Dabei fanden sie einen Abdruck der Nahrungsquellen im Muster der dickeren und dünneren Röhren, der auch lange nach der Nahrungsaufnahme noch beobachtbar war. Das habe die Idee geweckt, „dass die Netzwerkarchitektur selbst als Gedächtnis der Nahrungsorte dienen könnte“, sagte Karen Alim, Leiterin der Forschungsgruppe Biologische Physik und Morphogenese am Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) in Göttingen und Professorin für die Theorie biologischer Netzwerke an der TUM.

Chemische Information

Wie die Wissenschaftlerinnen herausfanden, löst ein Kontakt mit Nahrung in der Zelle die Freisetzung einer Chemikalie aus, die sich vom Fundort der Nahrung durch den gesamten Organismus bewegt und die Röhren weicher macht, sodass sich der Organismus neu auf die Nahrung ausrichtet. Wo Nahrung gefunden wurde, werden die Röhren dicker. Dabei kämen auch noch vorhandene Abdrücke früherer Nahrungsquellen ins Spiel, erläuterte die Erstautorin Mirna Kramar vom MPI-DS.

Die Fähigkeit von Physarum polycephalum, Abdrücke und damit Erinnerungen zu bilden, sei angesichts der Einfachheit dieses lebenden Netzwerks verblüffend. „Es ist bemerkenswert, dass der Organismus einen so einfachen Mechanismus verwendet und ihn dennoch auf so fein abgestimmte Weise kontrolliert“, so Alim. Mögliche Anwendungen der Erkenntnisse könnten bei der Entwicklung von intelligenten Materialien und dem Bau von Robotern liegen.