Pockenimpfung von Kindern im London des 19. jahrhunderts
Medizingeschichte

Wie die Pockenimpfung organisiert wurde

Die erste Massenimpfung im 19. Jahrhundert stellte die Impfärzte vor logistische Herausforderungen. Unterstützt wurden sie durch die Geistlichkeit, die Impflisten erstellte. Trotzdem klappte vieles nicht reibungslos, auch weil sich die Ärzte den Impfstoff aus tierischer Lymphe manchmal selbst besorgen mussten.

Sie sind ein großer Wissensschatz, die Impftabellen, die im Tiroler Landesarchiv liegen. Mit Hilfe dieser Dokumente versucht die Historikerin Elena Taddei von der Universität Innsbruck den Ablauf der Pockenimpfung im 19. Jahrhundert im historischen Tirol nachzuvollziehen. „Es sind tabellarische Vordrucke, die die Impfärzte bekommen und vor Ort mit Hilfe der Geistlichkeit, die eine große Rolle gespielt hat, ausgefüllt haben.“

Zentrale Unterstützung

Geimpft wurden vor allem Kinder im Alter von sechs Monaten bis zu drei Jahren. In dieser Altersgruppe gab es nämlich die meisten Sterbefälle. Um diese „Risikogruppe“ ausfindig zu machen, zog man die Kirche heran. Von der Statthalterei kam über die Diözesen die Aufforderung an die Seelsorger auf Basis der Taufregister Impflisten für die Impfärzte zu erstellen. „Denn die Ärzte wüssten eigentlich gar nicht, wenn sie jetzt losgehen auf ihre Impfreisen, wer aller für eine Impfung in Frage kommt.“, erklärt Taddei.

Auch über die Erstellung der Impflisten hinaus, spielte die Geistlichkeit eine große Rolle. So wird die Impfung sogar von der Kanzel aus beworben und der Impftermin verkündet: „Also sonntags wird gesagt: Montag ist Impftermin, um acht Uhr beim Schulhaus, zum Beispiel.“ Bereits bei der Taufe wird den Eltern mündlich oder mit Hilfe von Flugschriften eine Impfung nahegelegt, mitunter mit harten Worten. „Wenn man Kinder nicht impft, dann galt man als ‚Mörder der eigenen Kinder‘. So wurden Eltern in diesen Schriften auch genannt.“

Das Engagement der Seelsorger, das Impfgeschäft tatkräftig zu unterstützen, war unterschiedlich ausgeprägt, berichtet die Historikerin. „Es gab sehr engagierte Seelsorger, die die Impfung sehr stark befürwortet haben, und das wird der Statthalterei auch mitgeteilt über die Impfärzte. Und es gab weniger engagierte und auch das wird mitgeteilt.“ Es handelte sich um eine freiwillige, aber sehr stark erbetene Mithilfe, die bis zum Impftermin selbst andauerte. Auch bei diesem waren die Seelsorger als Autoritätsperson anwesend, um Impfsäumige ausfindig zu machen.

Qualität der Impflymphe

Nicht immer war es Unwille, der die Eltern davon abhielt, ihre Kinder zu impfen. Manchmal war es auch einfach Unmöglichkeit, sagt Elena Taddei. Gerade der Impftermin im Frühling, im Feber, war für höhergelegene Gemeinden ein Problem. Die Eltern kamen mit den Kleinkindern nicht durch den Schnee. Die Impfärzte meldeten nach Wien, man möge den Impfzeitraum doch bis Mai ausdehnen.

Nach der Impfung kam der Impfarzt noch zwei Mal in der Gemeinde vorbei, um den Stand der Immunisierung zu kontrollieren: Hat sich eine Pustel gebildet? Gibt es Nebenwirkungen? Nicht selten vermerkte der Impfarzt, dass sich nichts gebildet habe, der Impfstoff wirkungslos sei. „Ärzte monierten, dass sie impfen und es keine Reaktion gibt. Dass sie impfen und es komische, eigenartige Reaktionen gibt, weswegen sie dann sagen, da mache ich jetzt mit diesem Impfstoff, dieser Lymphe, nicht mehr weiter, kann ich bitte von wem anderen was haben.“

Ärzte wurden, was die Besorgung des Impfstoffes betrifft, teilweise allein gelassen, berichtet die Historikerin. Anfangs mussten die Ärzte selbst nach an Kuhpocken erkrankten Kühen suchen, deren Lymphe als Impfstoff geeignet wäre. Ein Impfarzt in Rovereto merkt etwa an, dass sein Gebiet so groß sei, dass er tagelang unterwegs sei, um Kuhpockeneiter zu finden. Weitergegeben wurde dieser dann entweder frisch oder in getrocknetem Zustand, an Seidenfäden oder zwischen zwei Glasplatten gepresst.