Studentenproteste in Hongkong
AFP/YAN ZHAO
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Index

Akademische Freiheit ist ein seltenes Gut

Freiheit in der akademischen Lehre und Forschung ist keine Selbstverständlichkeit. 80 Prozent der Weltbevölkerung leben in Ländern, wo diese mehr oder weniger eingeschränkt ist. Das zeigt der neue „Academic Freedom Index“ auf Basis von Daten aus 175 Ländern.

Die Freiheit der Forschung als universelles Menschenrecht achten und schützen – dazu haben sich mittlerweile 171 Staaten im 1966 verfassten Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte rechtlich verpflichtet. In Österreich wurde der völkerrechtliche Vertrag 1978 ratifiziert. In ihren „Recommendation concerning the Status of Higher-Education Teaching Personnel“ (1997) spezifiziert die UNESCO, was akademische Freiheit alles einschließt: Neben der Freiheit in Lehre und Forschung sind das unter anderem die Freiheit, Ergebnisse ohne Einschränkungen zu veröffentlichen, und die freie Meinungsäußerung.

Instrument zur Überprüfung

Ob und wie weit diese internationalen Vereinbarungen und Erklärungen tatsächlich umgesetzt sind, wurde lange Zeit nicht überprüft. Deutsche und schwedische Forscher und Forscherinnen haben im vergangenen Jahr erstmals ein Instrument präsentiert, das diese Lücke schließen soll, der „Academic Freedom Index“. Er bildet die Entwicklung der akademischen Freiheit seit 1900 ab.

Karte der weltweiten akademischen Freiheit
GPPi
Der Wert der akademischen Freiheit wird auf einer Skala von 0 bis 1 angegeben. In Ländern der Kategorie A ist sie am größten.

Seine neueste, soeben veröffentlichte Version erfasst insgesamt 175 Länder. Erneut zeige er, wie sehr Universitäten weltweit auch heute unter Druck stehen, erklärt eine der Initiatorinnen, Katrin Kinzelbach von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). „Es gibt zwar große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, aber insgesamt stellen wir fest, dass nur etwa 20 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern lebt, wo die akademische Freiheit gut geschützt ist“, so die Politikwissenschaftlerin.

Spiegel der Geschichte

Erstellt wird der Index auf Basis von Angaben von mehr als 2.000 Expertinnen und Experten. Sie müssen die akademische Freiheit in ihrem Land anhand von fünf Kriterien auf einer Skala von null bis vier bewerten: die Freiheit der Forschung und Lehre, die Freiheit des akademischen Austauschs und der Wissenschaftskommunikation, institutionelle Autonomie, Campus-Integrität sowie die akademische und kulturelle Ausdrucksfreiheit.

Grafik zum Akademischen Freiheitsiondex in Österreich
v-dem.net
Die historische Entwicklung der akademischen Freiheit in Österreich (Die Lücke ist der deutschen Besatzung geschuldet. Für Besatzungszeiten werden in diesem Datensatz prinzipiell keine Daten erhoben)

Aus den zusammengefassten Daten wird letztlich ein Index zwischen 0 und 1 berechnet. Bei einem Wert von 0,8 bis 1 gilt die Freiheit als gewährleistet – in diese Kategorie fällt ein Fünftel der erfassten Länder. Ein eigenes Visualisierungstool des beteiligten V-Dem-Instituts an der Universität Göteborg macht die Entwicklung des Werts auch Land für Land sichtbar. Für Österreich liegt der Wert in den vergangenen Jahren stabil bei 0,97 (siehe Abbildung oben).

Das war aber nicht immer so. Die Entwicklung der Indizes zeigt, wie sehr sich historische Entwicklungen und Ereignisse nicht nur hierzulande in der akademischen Freiheit spiegeln, so führten etwa die Weltkriege, Militärdiktaturen oder die Phase des Kalten Kriegs zu Einbrüchen. Generell gibt es seit den 1980er Jahren einen Aufwärtstrend, heißt es im Bericht, der sich in den 90ern weiter beschleunigte. In den vergangenen Jahren gebe es aber wieder kleine Verschlechterungen bei einigen Kriterien.

Politische Unruhen und Pandemie

Das gilt auch für die jüngste Vergangenheit. Von 2019 bis 2020 war der Abwärtstrend in Belarus, Hongkong, Sri Lanka und Sambia am deutlichsten messbar. Wie Ilyas Saliba vom Berliner Global Public Policy Institute (GPPi) in einer Aussendung erklärt, liege das zum einen an neuen Regeln, die die Freiheit zu forschen, zu lehren und zu publizieren selbst beeinträchtigen, zum anderen an politischen Repressionen gegenüber demokratischen Bewegungen, in denen Studierende und Universitätsangehörige oft stark vertreten sind.

Studierende und Lehrende der staatlichen Universität in Belarus bei einer Demonstration
AFP/STRINGER
Studierende und Lehrende der staatlichen Universität in Belarus

Auch die Pandemie habe dabei mitunter eine Rolle gespielt. „Digitale Lehre erleichtert die Überwachung und fördert die Selbstzensur in einem repressiven Umfeld“, so Saliba. Insgesamt habe sich die Pandemie aber vorerst überraschend wenig ausgewirkt, so Kinzelbach in einem Pressegespräch.

Weltweiter Abwärtstrend

Unabhängig davon gebe es aber über die letzten Jahre einen weltweiten Abwärtstrend. Seit 2013 sinkt der globale Wert stetig. Das liege vermutlich daran, dass die Polarisation der Gesellschaft weltweit zunimmt. Besonders messbar ist die Verschlechterung in Autokratien, wie etwa in Brasilien oder der Türkei. Dort ist der Index in nur fünf Jahren um einen Wert von 0,15 gesunken.

Auch die Bedingungen am Campus haben sich mancherorts verschlechtert, d.h., die Überwachung und Rechtsverletzungen innerhalb der Institutionen nehmen zu. Das sei etwa in Belarus und Polen der Fall. Letzteres zähle zwar noch zu den Ländern mit der höchsten Freiheit, aber nur noch am untersten Rand, wie Kinzelbach ausführt. Es könnte in den nächsten Jahren aus der obersten Kategorie rausfallen. Aus manchen Ländern lassen sich aber auch positive Entwicklungen vermelden, etwa aus dem Sudan, aus Kasachstan, Tunesien und Taiwan. Dort nehme die Freiheit seit einigen Jahren zu.

Gedacht ist der Index auch als Hilfe für Entscheidungsträger, für internes Monitoring genauso wie für die Wissenschaftspolitik. Denkbar sei etwa, dass der Wert für die wissenschaftliche Freiheit auch bei zukünftigen Projektkooperationen herangezogen wird. Wie Saliba betont, wäre es auch bei Hochschulrankings wünschenswert, wenn nicht nur der Output gemessen wird, sondern auch der Freiheitsindex miteinfließen würde.