Nach der Finanzkrise 2008 haben sich Literatur und Film weltweit mit wirtschaftlichen Themen beschäftigt. Im deutschsprachigen Raum erschien 2009 Terézia Moras Der einzige Mann auf dem Kontinent als erster Band einer Trilogie, die einen hektischen Berliner-IT-Kaufmann durch seinen Absturz, seine Trauer und seine langsame Heilung verfolgt; 2012 hat Rainald Goetz in Johann Holtrop die fragwürdigen Intrigen eines großen Medienkonzerns aufgedeckt; und unvergesslich verkörperten 2016 Peter Simonischek und Sandra Hüller in Maren Ades Toni Erdmann ein tragikomisches Vater-Tochter Team, das einen skurrilen Life-Coach mit einer hochkarätigen Unternehmungsberaterin zusammenkoppelt. Nimmt man Neuerscheinungen wie Martin Mosebachs Krass (2021) hinzu, so scheint die literarische Faszination durch die Reichen und Überreichen kein Ende zu finden.

Über den Autor
Timothy Attanucci ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Autor von The Restorative Poetics of a Geological Age (2020).
Derzeit ist er Research Fellow am Internationalen Zentrum für Kulturwissenschaften (IFK) an der Kunstuniversität Linz in Wien. Am 15. März berichtet er in einer IFK-Zoom-Lecture über seine Forschungen.
Die angeführten Texte und Filme können mit einem breiten kulturellen Wissen einer Leserschaft rechnen, der die hohe Frequenz des Burnout-Syndroms bei Managern ebenso geläufig ist wie die Metapher der wirtschaftlichen „Depression“. Umgekehrt tragen Kunst und Literatur auch zu diesem Wissen bei. Neuere Studien, die ein überdurchschnittliches Vorkommen psychopatischen Persönlichkeitstypen bei CEOs zu belegen versuchen, dürften nicht zuletzt von Romanen wie American Psycho von Bret Easton Ellis angeregt worden sein, der einen Wall-Street Banker groteskerweise als Serienmörder stilisiert, aber auch von Filmen wie The Wolf of Wall Street oder Aviator von Martin Scorsese, die den Typus des wirtschaftlichen Überfliegers sowohl heroisieren als auch verteufeln.
Die zwei Pole der Melancholie
Was in der Kunst als „Manie“ beschrieben wird, heißt in der (informellen) Fachsprache der Ökonomen „irrational exhuberance“ (Alan Greenspan) oder „kreative Zerstörung“ (Joseph Schumpeter). Ausdrücke wie diese nutzen das Grundmuster der Bipolarität, des raschen Wechsels zwischen Höhenflug und Niedersturz, das wirtschaftliche Akteure, aber auch die Wirtschaft selbst charakterisiert. In der Psychopathologie trägt das bipolare Grundmuster seit der Antike den Namen Melancholie oder „schwarze Galle“. Sie gilt als übelster der vier Körpersäfte, verleiht aber auch besondere Fähigkeiten wie eine ungewöhnliche Kreativität.
Wie entstand die skizzierte Verbindung zwischen Melancholie und Ökonomie, die vielen AutorInnen der Gegenwart so unmittelbar plausibel erscheint? Trotz weitreichender Handelsnetzwerke und Produktionsmanufakturen kannten weder Antike noch Mittelalter das System, das wir „Kapitalismus“ nennen. Vielmehr wies man mit Aristoteles die „Kunst des Geldmachens“ (die Chrematistik) lange als widernatürlich und unmoralisch zurück.
Die scharfe Ablehnung wird auch an der Gestalt des Planetengotts Saturn deutlich, der im Mittelalter als Schatzmeister und Erfinder des Münzgeldes galt, und in der Figur des unter seinem Zeichen geborenen Melancholikers. Dieser wurde als Geizhals mit Land und Vermögen verstanden, der gern rechnet und stets mit List und Verschlagenheit agiert.

Fortunatus oder das „Märchen ewigen Wachstums“
Diese Eigenschaften besitzt Fortunatus, der Held eines der populärsten Romane der Frühen Neuzeit. Auch wenn der 1509 anonym in Augsburg publizierte Roman heute in Vergessenheit geraten ist, wurde er über drei Jahrhunderte hinweg in fast alle europäischen Sprachen übersetzt und immer wieder neu adaptiert. Der magische „seckel“, dem Fortunatus nach Belieben Geld entnehmen kann, wurde in der Rezeption sprichwörtlich, und sein „wünschhütlin“, das ihn unverzüglich zum Ort seiner Wahl transportiert, faszinierte Generationen von Kindern, die das im Volks- oder Puppentheater bestaunten.
Während die Märchenmotive die Faszination des frühmodernen Autors über den wuchtigen Kapitalzuwachs und die globalen Beziehungen großer Handelsfamilien wie der in Augsburg ansässigen Fugger zum Ausdruck bringen, lässt der melancholische Subtext des Romans Skepsis anklingen, ob dabei alles mit rechten Dingen zugeht. Im Fortunatus geht es sowohl um die soziale Integration eines „Neureichen“, als auch um ein bissiges Porträt der damaligen Adelsgesellschaft.
Die zahlreichen Übertragungen des Stoffs in verschiedene Sprachen und Kontexte – vom Hof der Königin Elisabeth I. über das klassizistische Frankreich und die Aufklärung bis hin zur deutschen Romantik – machen den Fortunatus zu einem zuverlässigen Index des historischen Wandels der Ambivalenz, die moderne Kulturen dem Geldmenschen zuschreiben. Ob er in eigenem Namen auftritt oder als reicher Faust, der von der Sorge heimgesucht wird, ob als einsamer Peter Schlemihl, der sogar seinen „Schatten“ verliert (beides Motive aus Thomas Dekkers Fortunatus-Komödie von 1600), ob er sich zwischen Geld oder Weisheit entscheiden muss, wie im Original, oder zwischen Geld, Liebe oder Moral, wie in späteren Varianten: Fortunatus bleibt das Leitbild einer Gesellschaft, die weiterhin an das „Märchen ewigen Wachstums“ (Greta Thunberg) glaubt, sich dabei aber nie so ganz wohl fühlt.