Visualisierung der Blastoiden
Monash University
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Biomedizin

Erste Proto-Embryonen ohne Spermien und Ei

Forscherinnen und Forscher haben erstmals im Labor Vorläufer menschlicher Embryonen erzeugt – und zwar ohne Befruchtung. Im besten Fall könnten damit in Zukunft Krankheiten bekämpft und die Ursachen von Unfruchtbarkeit besser untersucht werden. Die Experimente betreten aber auch ethisches Neuland.

Gleich zwei Forschergruppen berichten in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature“ (hier und hier) von ihren Fortschritten. Mit verschiedenen Methoden kamen sie zu ähnlichen Ergebnissen, nämlich zur Herstellung Blastozysten-ähnlicher Strukturen in der Petrischale. Blastozysten („Keimblasen“) bilden sich in der Frühphase der Embryonalentwicklung – bei Säugetieren fünf bis sechs Tage nach der Befruchtung einer Eizelle und nach einer Reihe von Zellteilungen. Nach einigen weiteren Tagen nisten sie sich in die Schleimhaut der Gebärmutter ein, womit die Schwangerschaft beginnt.

Blastozysten und Blastoide

Blastoide – also Blastozysten-ähnliche Strukturen – aus dem Labor waren bisher von Mäusen bekannt. Eine der weltweit führenden Gruppen dazu arbeitet rund um Nicolas Rivron am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien. Vor drei Jahren berichtete die Gruppe in einer Studie von den ersten künstlichen Mäuse-Proto-Embryonen ohne Einsatz von Spermien oder Eizellen. Die aktuellen Studien zu menschlichen Blastoiden bezeichnete Rivron, der nun nicht beteiligt war, als „nächsten logischen Schritt“.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 18.3., 13:55 Uhr.

Die eine Gruppe verwendete zur Blastoiden-Herstellung embryonale Stammzellen, die andere Gruppe „umprogrammierte“ Hautzellen. In beiden Fällen wuchsen die Proto-Embryonen nach sechs bis acht Tagen in 3-D-Zellkulturen heran. Sie waren dann in Form, Größe und Zellenanzahl natürlichen Blastozysten sehr ähnlich. Auch ihre molekulare Beschaffenheit und innere Ausdifferenzierung sei vergleichbar, berichten die Forscherinnen und Forscher. In einem weiteren Schritt simulierten sie im Labor die Einnistung der Blastoiden in eine Gebärmutter. Bei den Experimenten in der Petrischale entwickelten sie sich zum Teil ähnlich wie Blastozysten.

Unfruchtbarkeit und Erbkrankheiten bekämpfen

Die Erfolgsrate der Blastoid-Entwicklungen ist zwar bescheiden, die Forscherinnen und Forscher sind über den Beweis der Machbarkeit ihres Ansatzes dennoch erfreut. Mit den Blastoiden könne man „einige der Ursachen von Unfruchtbarkeit, Erbkrankheiten und den Einfluss von Giftstoffen und Viren in der frühen Embryonalentwicklung untersuchen“, sagt etwa der Entwicklungsbiologe Jose Polo von der Monash University in Australien. „Wir brauchen dazu keine menschlichen Blastozysten, das wird unser Verständnis und die Entwicklung neuer Therapien beschleunigen.“

Jose Polo vor einer Wand mit Visualisierungen der Blastoiden
Monash University
Jose Polo vor Visualisierungen von „iBlastoids“ – aus Hautzellen induzierten Blastoiden

Bisher sind der Erforschung dieser Frühphase der Embryonalentwicklung Grenzen gesetzt. Blastozysten, die im Labor untersucht werden können, stammen in der Regel aus befruchteten Eizellen, die nach künstlichen Befruchtungen übriggeblieben sind bzw. gespendet werden. Mit den Blastoiden könne man nun Strukturen, die frühen Embryonen ähneln, in großer Zahl erzeugen und verändern, sagt Nicolas Rivron vom Wiener IMBA. „Diese beiden Aspekte sind der Schlüssel für wissenschaftliche und biomedizinische Entdeckungen.“ Die Blastoide könnten etwa zur Entwicklung neuer Verhütungsmittel führen und die Anzahl von Fehlgeburten verringern.

Studien hielten sich an 14-Tage-Regel

Noch ist das freilich Zukunftsmusik. Es gibt eine Reihe technischer Hürden, um die Selbstorganisation der Zellen im Labor effizienter zu machen. Mindestens ebenso wichtig ist aber die ethische Einschätzung dieses Forschungszweigs. Wenn die Technik besser wird, „werden die Blastoide den menschlichen Blastozysten immer ähnlicher werden“, heißt es in einem Begleitkommentar zu den soeben erschienenen Studien. „Das wird unvermeidbar zu bioethischen Fragen führen.“ Zwei davon lauten: Wie sind solche künstlich erzeugten Proto-Embryonen rechtlich und ethisch zu bewerten? Und wie lange dürfen sie Forscherinnen und Forscher im Labor entwickeln lassen?

Naheliegend wäre es, sich an die gültige 14-Tage-Regel zu halten: Durch künstliche Befruchtung gewonnene Embryonen dürfen nach einem internationalem Konsens maximal bis zu 14 Tage nach der Befruchtung bzw. bis zur Ausbildung des Primitivstreifens im Labor heranwachsen. An diese Regel haben sich die beiden aktuellen Studien gehalten, jene der australischen Monash University etwa beendete sie nach elf Tagen – und zwar, obwohl es sich bei den Blastoiden um etwas anderes handle als um menschliche Embryonen, wie die Forscher betonen. Offensichtlich wollen sie ihre Arbeit nicht in ein ethisch schiefes Licht gerückt sehen.

Stammzellgesellschaft legt Ethikrichtlinien vor

Nicolas Rivron vom Wiener IMBA berichtet, dass seit zwei Jahren über den rechtlichen Status von Blastoiden diskutiert wird. Schon in ein paar Wochen sollen sie in die ethischen Richtlinien der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung (ISSCR) aufgenommen werden. „Wir müssen erklären, was diese Strukturen sind und entscheiden, was mit Blastoiden gemacht werden sollte und was nicht. Zum Beispiel sollten menschliche Blastoide niemals in eine tierische oder menschliche Gebärmutter übertragen werden.“

Danach sei es Sache jedes einzelnen Landes, zu entscheiden, ob sie Biomedizingesetze anpassen wollen. Für Rivron ist klar: „Unter Abwägung von Nutzen und Schaden sowie der Verfolgung von Zielen mit den moralisch unproblematischsten Mitteln sind Blastoide eine ethische Alternative zur Verwendung von Embryonen für die Forschung und können so zur Lösung wichtiger gesellschaftlicher Probleme beitragen.“