Südkaper (ein Glattwal) im grünlichen Meer
AFP/EDUARDO VALENTE
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Meerestiere

Rätselhafte Kreisbahnen

Wale tun es, Haie tun es, Schildkröten und Pinguine offenbar auch: Laut Beobachtungen japanischer Biologen bewegen sich viele Meerestiere auf Kreisbahnen durch den Ozean. Warum, ist unklar.

Beobachtungen mariner Lebewesen mit Satelliten und Tiefenmessgeräten gehören schon seit Langem zum Methodeninventar der Meeresbiologie. Doch die Daten lieferten bisher ein unvollständiges Bild. Durch die Entwicklung von speicherfähigen Instrumenten, die sich auf dem Körper der Tiere montieren lassen, erschließt sich unter Wasser nun die dritte Dimension in Feinauflösung – mit Hilfe dieser Methode, auch „Biologging" genannt, gelang der japanischen Biologin Tomoko Narazaki kürzlich eine erstaunliche Entdeckung.

Zirkulierende Schildkröten

Sie fand heraus, dass sich Grüne Meeresschildkröten auf Kreisbahnen durch den Ozean bewegen, in konstanter Geschwindigkeit. „Um ehrlich zu sein, ich traute meinen Augen nicht, als ich die Daten zum ersten Mal sah. Die Schildkröten kreisen so regelmäßig durchs Wasser – als wären sie Maschinen“, sagt die Forscherin von der Universität Tokio.

Grüne Meeresschildkröte im Meer, unweit der Galapagosinsel San Cristóbal
PABLO COZZAGLIO/AFP
Chelonia mydas, die Grüne Meeresschildkröte

Um dem rätselhaften Verhalten auf den Grund zu gehen, kontaktierte Narazaki Kollegen, die mit dem gleichen Datenlogger arbeiteten wie sie. Und bat sie, ebenfalls ein Auge auf die Bewegungen von Meerstieren zu werfen. Da war schnell klar: Die Grüne Meeresschildkröte ist keine Ausnahme, alle möglichen Arten schwimmen im Kreis, mehrfach täglich. Meist für fünf bis zehn Minuten, manchmal auch länger als eine Stunde. Bei Tigerhaien unweit der hawaiianischen Inselkette wiesen die Forscher dieses Verhalten hunderte Male nach, später wurden sie auch bei Walhaien, Königspinguinen, Seebären und Schnabelwalen fündig.

Nahrungssuche?

Warum schwimmen die Tiere im Kreis, wo doch die gerade Linie der sparsamste Weg ist, um von A nach B zu kommen? Narazaki und ihr Team stellten zunächst die Vermutung auf, das Verhalten könnte mit der Nahrungssuche zu tun haben. Auf Buckelwale trifft das zu, die bis zu 15 Meter langen Meeressäuger umkreisen Schwärme kleiner Krebse und erzeugen dabei einen Vorhang aus Luftblasen, um ihre Beute in eine kompakte Form zu bringen, bevor sie mit geöffnetem Maul direkt in den Schwarm hineinstoßen.

Auf Sandbankhaie dürfte das ebenfalls zutreffen. Nur gibt es laut der Studie im Fachblatt „iScience“ so viele Ausnahmen, dass die Nahrungssuche unmöglich die einzige Erklärung sein kann. Seebären etwa zirkulieren bevorzugt untertags, obwohl sie vor allem nachts auf die Jagd gehen (bzw. schwimmen). Männliche Tigerhaie wiederum nähern sich dem anderen Geschlecht auf Kreisbahnen, hier könnte die zirkuläre Form also Teil des Werbeverhaltens sein – oder eine ganz anderen Funktion haben, die bisher noch nicht erkannt wurde.

Hypothese: Den Magnetsinn schärfen

So kamen Narazaki und ihre Kollegen auf eine neue Idee. Was, wenn das alles mit der Orientierung und dem Magnetsinn zu tun hat? Frühere Experimente legen nahe, dass Karettschildkröten ihren Kopf oder ihren ganzen Körper drehen, um das Erdmagnetfeld zu „scannen“ bzw. ihre eigene Position im Wasser zu bestimmen. Ähnliches gilt übrigens für U-Boote: Auch sie beschreiben bei geomagnetischen Messungen Kreisbahnen, weil sich auf diese Weise Störsignale aus den Daten besser entfernen lassen.

Womöglich hatte Narazaki gar nicht so unrecht, als sie bemerkte, Schildkröten würden sich durchs Wasser bewegen, „als wären sie Maschinen“. Natürlich kann es auch sein, dass die in der Meeresfauna so verbreiteten Kreisbahnen wenig miteinander zu tun haben und in Wahrheit ganz unterschiedlichen Zwecken dienen. Eine Auflösung des Rätsels kann Narazaki in ihrem Bericht nicht anbieten. Und endet, wie das in wissenschaftlichen Papieren oft zu lesen ist, mit dem Standardsatz: Einsichten sollen weitere Untersuchungen erbringen.