Große Mausohr  (Myotis myotis) im Flug
Olivier Farcy
Olivier Farcy
SARS-CoV-2

Neue Coronaviren: Kein Beleg für Laborthese

Die These, wonach das Coronavirus durch einen Laborunfall in die Umwelt gelangt sein soll, wird immer unwahrscheinlicher. Neu entdeckte Fledermausviren zeigen: Die Eigenschaften von SARS-CoV-2 sind weder einzigartig noch unnatürlich.

Mit Existenzbehauptungen ist das so eine Sache. Der Satz „Es gibt grüne Zebras“ ist streng genommen nicht widerlegbar, er lässt sich nur durch Auflistung aller Evidenzen plausibel oder eben unplausibel machen. So ähnlich ist die Ausgangslage bei der Behauptung, das Coronavirus sei am Institut für Virologie in Wuhan künstlich erzeugt worden.

Mit Blick auf die molekularen Evidenzen kann man dieses Szenario einer Prüfung unterziehen. Besser wäre es freilich, man würde auch die Laboratorien an Ort und Stelle unter die Lupe nehmen.

Hochaus mit roter Fassade: das Institut für Virologie in Wuhan
Ng Han Guan/AP
Institut für Virologie in Wuhan, Hubei

Ob die nach China entsandte Expertengruppe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dazu in der Lage war, bleibt angesichts der politischen Umstände fraglich. Es wird jedenfalls interessant sein zu sehen, ob das zehnköpfige Team neue Fakten auf den Tisch legen wird. Der Bericht soll noch diese Woche erscheinen.

„Verdächtige“ Sequenzen

Bis es so weit ist, sprechen die molekularbiologischen Befunde. Und da sieht es mehr denn je nach einem natürlichen Ursprung des Virus aus. Im Frühjahr 2020, als noch wenig über die nähere Verwandtschaft von SARS-CoV-2 bekannt war, konnte man noch mit etwas Phantasie den Eindruck gewinnen, das Erbgut des Virus sei irgendwie speziell aufgebaut – und somit ein Kandidat für etwaige Manipulationen.

In den Fokus gerieten RNA-Abschnitte, denen das Virus seine Infektiosität verdankt. Das ist zum einen jener Bereich, mit dem das Virus an menschliche Zellen andockt, nämlich die rezeptorbindende Domäne (RBD) des Spike-Proteins. Sowie zweitens jene Spaltstelle, an der das Protein geteilt wird, damit es zu einer Verschmelzung mit der Zellmembran kommt.

Für beide Sequenzen haben Forscher und Forscherinnen mittlerweile aufschlussreiche Gegenstücke entdeckt. Im Februar und März berichtete ein Team um den australischen Virologen Edward Holmes von Fledermausviren aus Kambodscha, Thailand und Japan, die dem Aufbau von SARS-CoV-2 in den fraglichen Bereichen erstaunlich nahekommen.

Das Virus aus Kambodscha etwa verfügt über einen sehr ähnlich gebauten Schüssel, mit dem es das Rezeptorschloss der Wirtszellen entsperrt, SARS-CoV-2 bindet an 18 Stellen, 15 davon finden sich im Kambodscha-Virus. Damit einher gehen genetische Überlappungen, auch beim Fledermausvirus aus Thailand, das im Spike-Protein zu 98 Prozent (nach RNA-Bausteinen) bzw. zu 99,3 Prozent (nach Proteinbausteinen) mit dem Coronavirus ident ist. Bei den Schnittstellen im Spike-Protein zeigen sich laut Holmes‘ Analysen wiederum Übergangsformen, die diese Region als evolutionären Hotspot ausweisen, kurzum: Die Eigenschaften von SARS-CoV-2 sind keineswegs einzigartig, sie betten sich vielmehr ein in die Verwandtschaft der gleichen Virusfamilie.

Anpassung: Zunächst suboptimal

Eine logische und somit endgültige Widerlegung möglicher Manipulationen ist das zwar nicht (siehe grüne Zebras), gleichwohl erscheint ein zentraler Aspekt der Laborhypothese nun noch unplausibler. Früher wurde gemutmaßt, SARS-CoV-2 sei ungewöhnlich bzw. unnatürlich gut an die menschlichen Zellen angepasst.

Das ist nicht der Fall: Das Coronavirus kann auch an die Zellen von Fledermäusen, Frettchen, Katzen und anderen Tieren binden. Optimiert für menschliche Zellen wurde die Bindungsfähigkeit erst in jüngerer Zeit, mit dem Aufkommen der neuen Virusvarianten aus Großbritannien, Brasilien und Südafrika. Und es ist nicht auszuschließen, dass es noch zu weiterem Feintuning an der bindenden Domäne kommen wird.

Virologe Tim Skern im Labor
Tim Skern

Zur Person

Tim Skern forscht an der an MedUni Wien im Bereich Virologie und leitet ebenda das Zentrum für medizinische Biochemie.

Offene Fragen, Stand März 2021: Von welchem tierischen Zwischenwirt ist der Erreger auf den Menschen übergesprungen? Wo ist der direkte Vorfahre im Stammbaum des Coronavirus?

Der Virologe Tim Skern kann sich vorstellen, dass Letzterer mittlerweile ausgestorben ist. „Wir wissen auch nicht genau, woher das Masernvirus stammt. Nur hat das bisher niemanden gestört“, sagt Skern – mehr dazu in folgendem Interview.

science.ORF.at: Herr Skern, was wissen wir jetzt über den Ursprung des Virus, was man im letzten Frühjahr noch nicht wusste?

Tim Skern: Alle Untersuchungen der letzten Monate deuten auf eine erstaunliche Vielfalt der Coronaviren in der Natur hin. Beim Spike-Protein sehen wir zum Beispiel bei Pangolin- und Fledermausviren eine sehr hohe Variation – das deutet darauf hin, dass auch SARS-CoV-2 in der Natur entstanden ist.

Wir haben es mit Indizien zu tun, aber nicht mit einem Beweis.

Skern: Das ist richtig, so ist die Wissenschaft eben. Darwins Evolutionstheorie kann man wegen fehlender Fossilien auch nicht zu 100 Prozent beweisen. Aber das heißt nicht, dass seine Hypothese falsch ist. Es geht darum, Belege zu sammeln für den natürlichen Ursprung des Virus. Und natürlich kann man das auch tun, um zu zeigen, dass das Virus aus dem Labor stammt. Alle Evidenzen deuten auf natürliche Prozesse hin, nämlich Rekombination und Mutation.

Die Laborthese ist in den Sozialen Netzwerken ein Thema, in den Fachzeitschriften wurde sie bisher kaum vertreten. Mit Ausnahme einer Veröffentlichung in „BioEssays“, die kürzlich in der gleichen Fachzeitschrift recht deutlich kritisiert wurde – wie schätzen Sie die Lage ein?

Skern: Ich halte den von Ihnen angesprochenen Text für tendenziös, er liefert nach meiner Ansicht keine Belege dafür, dass das Virus aus dem Labor stammt. Wenn wir das Coronavirus mit anderen Viren vergleichen, wird offensichtlich: Das Virus ist seit 40 oder 50 Jahren in Fledermäusen im Umlauf und hatte genug Zeit, um an bestimmten Stellen zu mutieren.

Würde man den direkten Vorläufer von SARS-CoV-2 entdecken, wäre das ein weiteres Argument für den natürlichen Ursprung. Warum ist dieses Virus nach wie vor unbekannt?

Skern: Ich kann nicht ausschließen, dass es ausgestorben ist, und auch nicht, dass wir es noch finden oder vielleicht nie finden werden. Ich halte das für nicht so wichtig, das ist bei vielen Viren der Fall: Wir wissen nicht genau, woher das Masernvirus stammt, wir wissen auch nicht genau, woher das Rubellavirus stammt – nur hat das bisher niemanden gestört. Man muss akzeptieren, dass man manche Fragen in der Wissenschaft nie beantworten kann. Aber wir werden dem Vorläufer von SARS-CoV-2 immer näher kommen, davon bin ich überzeugt.

Wie ist der Stand bei der Frage des Zwischenwirts?

Skern: Wir tippen immer noch auf eine Fledermaus. Das Genom-Skelett von SARS-CoV-2 weist die größte Ähnlichkeit zum Erbgut von Fledermäusen auf. Man sieht allerdings auch: Das Spike-Protein des Coronavirus kann auch an die Rezeptormoleküle von anderen Spezies binden. Vielleicht haben wir bisher an der falschen Stelle nachgeschaut und es ist doch ein anderer Zwischenwirt.

An den entdeckten Ähnlichkeiten in der näheren Verwandtschaft von SARS-CoV-2 lässt sich auch ablesen: So ein Überspringen vom Tier auf den Menschen könnte jederzeit wieder passieren.

Skern: Absolut, wir können damit rechnen, dass es wieder so ein Ereignis geben wird. Aber ich hoffe, wir haben aus dieser Pandemie gelernt und sind nun besser vorbereitet, um die Ausbreitung eines neuen Virus zu erkennen. Viren werden die ganze Zeit auf den Menschen übertragen, das ist ein natürlicher Vorgang. Das war zum Beispiel bei der Tollwut so, auch bei FSME und den Masern.

Was erwarten Sie vom WHO-Bericht, der demnächst erscheinen soll?

Skern: Ich warte gespannt, wie viele andere. Politisch ist das natürlich eine heikle Sache. Ich denke, wir lassen die Wissenschaftler und Diplomaten einmal arbeiten. Und wenn ich den Bericht gelesen habe, werde ich sehen, ob dabei etwas Vernünftiges herausgekommen ist.