Ärztin mit Datenblatt im Krankenhaus
©ipopba – stock.adobe.com
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Publikationen

Mehr Transparenz in der Medizin

Die Ergebnisse klinischer Studien schnell und offen für alle zur Verfügung stellen: Wie wichtig das ist, zeigt die Coronavirus-Pandemie. Aber: Längst nicht alle Medizinerinnen und Mediziner tun das hierzulande – obwohl sie dazu verpflichtet sind. Laut einer neuen Studie wird die Forschung aber langsam transparenter.

Hatten die österreichischen Medizinunis und andere Forschungseinrichtungen bis zum Vorjahr nur 18 Prozent ihrer Studienergebnisse zu Medikamenten öffentlich gemeldet, so sind es mittlerweile immerhin 37 Prozent. „Vor allem die großen Medizinunis in Wien und Graz haben sich im letzten Jahr ins Zeug gelegt und viele ihrer Studien zugänglich gemacht“, sagt Barbara Nußbaumer-Streit gegenüber science.ORF.at. Sie ist Leiterin des Zentrums Cochrane Österreich an der Donau-Uni Krems, das die Transparenzstudie am Montag gemeinsam mit der britischen Organisation Transparimed vorgestellt hat.

Die beiden Organisationen setzen sich seit Jahren dafür ein, dass Studienresultate nicht in Schubladen verschwinden – und das ist keine akademische Fingerübung. „Es ist wichtig, dass Resultate innerhalb der wissenschaftlichen Community geteilt werden, weil andere davon lernen können“, sagt Nußbaumer-Streit. Dadurch könne etwa vermieden werden, dass erfolglose Studien noch einmal gemacht werden. Der Forschungsfortschritt etwa in Form neuer Therapien würde sich dadurch beschleunigen. „Und davon profitiert letztlich auch der Patient und die Patientin.“

Ursachen des Publikationsbias

Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass die Sponsoren und Autorinnen medizinischer Studien, ihre Resultate auch veröffentlichen. Ist es aber nicht. Manche Studien etwa werden abgebrochen, weil die Anzahl beteiligter Patienten zu gering ist oder die Finanzierung nicht klappt. Oder sie werden zwar bis zum Schluss durchgeführt, die Forscherinnen und Forscher können aber die erwünschte Wirkung eines Medikaments nicht nachweisen.

Die Studie

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichtet auch Wissen aktuell: 29.3., 13:55 Uhr.

Diese negativen Nachweise sind viel unbeliebter als positive. Denn letztere führen eher zur Entwicklung eines Arzneimittels und somit zu geschäftlichem Erfolg. Die Studien dazu werden entsprechend gerne in den prestigeträchtigen Fachzeitschriften veröffentlicht. Die anderen aber verschwinden oft in den Schubladen – obwohl der Nachweis eines Nicht-Zusammenhangs oder einer geringeren Wirksamkeit als bisher angenommen den wissenschaftlichen Fortschritt genauso beflügelt.

Dieser “Publikationsbias“ ist seit Jahrzehnten bekannt. Um ihm zu begegnen, verlangt die europäische Arzneimittebehörde EMA seit einigen Jahren, dass ausgesuchte Daten zu allen Studien, die Arzneimittel entwickeln, veröffentlicht werden müssen. Dazu zählen Struktur, Beginn und Ende der Untersuchungen sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Die EMA hat dafür das EU Clinical Trials Register geschaffen, eine Online-Datenbank, in der alle Forscherinnen und Forscher innerhalb der EU die zusammengefassten Resultate ihrer Studien spätestens ein Jahr nach Studienende hochladen müssen – seit 2014 sind die Einträge laut einer EU-Richtlinie verpflichtend.

Trend zur Transparenz

Wie die Analyse von Transparimed nun zeigt, hält sich bisher aber nur ein gutes Drittel in Österreich an diese Vorschriften. 722 klinische Studien mit österreichischen Auftraggebern befinden sich in dem Online-Register. 367 von ihnen sind laut Transparimed bereits nachweisbar abgeschlossen, die Ergebnisse von 134 davon – also 37 Prozent – wurden bisher in das Register eingetragen.

Das ist im internationalen Vergleich noch immer bescheiden, der EU-Schnitt liegt bei rund zwei Drittel, aber ein deutlicher Aufwärtstrend gegenüber dem Vorjahr, als erst 18 Prozent der Studienresultate ins Online-Register eingetragen waren. Im vergangenen Jahr kamen 73 Studien aus Österreich hinzu – „mehr als in allen Jahren vorher zusammen – ein erfreulicher Trend“, sagt Barbara Nußbaumer-Streit.

Vor allem die großen Medizinunis bemühten sich

Mit Abstand größter Aufraggeber von Medizinstudien des Landes – und auch größter nicht-kommerzieller Europas – ist die Medizinuni Wien. Ihr Verhalten ist also besonders wichtig. Hatte sie im Vorjahr erst 13 Prozent ihrer Studienergebnisse per Online-Register zugänglich gemacht, sind es heuer immerhin schon 27 Prozent. Die Medizinunis in Innsbruck und Graz haben sich noch mehr gesteigert, nach 20 Prozent im Vorjahr sind es nun 73 bzw. 45 Prozent.

Transparenz-Spitzenreiter sind hierzulande mit einer Veröffentlichungsrate von jeweils 100 Prozent die Arbeitsgemeinschaft medikamentöser Tumortherapie (AGMT) und die Central European Society for Anticancer Drug Research (CESAR). Am Ende der Rangliste liegen vier kleinere Einrichtungen, die noch keine einzige ihrer Studien in das Register eingetragen haben: das Ordensklinikum Linz, Innovacell Biotechnologie, die Arbeitsgemeinschaft für Medikamentöse Tumortherapie Gemeinnützige GmbH (ABCSG) und die Central European Cooperative Oncology Group (CEGOG).

In dem aktuellen Bericht sind die 14 größten österreichischen Sponsoren von klinischen Studien berücksichtigt, die bis 8. Februar 2021 Daten in das EU-Register eingetragen haben. Nicht beinhaltet sind internationale Pharmafirmen, die ihr Hauptquartier außerhalb Österreichs haben, aber in Österreich Studien durchführen. Laut Transparimed wird nur ein Drittel aller klinischen Medikamentenversuche von solchen kommerziellen Auftraggebern geleitet, das entspricht in etwa der Menge jener der Medizinuni Wien. Große internationale Pharmafirmen hätten generell eine sehr hohe Berichterstattungsquote.

BASG will verstärkt erinnern

Obwohl der Trend zu größerer Transparenz prinzipiell erfreulich ist, gebe es immer noch viel tun, betonen Transparimed und Cochrane Österreich – immerhin sind zwei Drittel der Studien aus Österreich noch immer nicht im EU-Register zugänglich. Deshalb empfehlen die beiden Organisationen in ihrem Bericht eine Reihe von Maßnahmen: Unter anderem solle die zuständige Behörde, das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG), Institutionen, die ihre Studien nicht zugänglich machen, die Erlaubnis für neue verweigern und unter Umständen auch sanktionieren.

Die BASG zeigt sich in einer Reaktion über die Fortschritte erfreut, hält es aber für unwahrscheinlich, dass eine Publikationsrate von 100 Prozent erreicht werden kann. Viele Studien seien lange vor der EU-Richtlinie zur Publikationspflicht fertiggestellt worden, ihre Resultate beim aktuellen Innovationstempo „überholt“. Sanktionen für säumige Einrichtungen seien aktuell nicht möglich, das Bundesamt will sie aber in Zukunft verstärkt an die Publikationspflicht erinnern.