Kugelförmiger „Körper“, bestehend aus Froschzellen
Douglas Blackiston
Douglas Blackiston
Xenobots

Tiermaschine 2.0: Roboter aus Froschzellen

Vor einem Jahr haben US-Wissenschaftler der Weltöffentlichkeit Miniroboter aus Froschzellen vorgestellt, jetzt ist die neue Generation dieser programmierbaren Organismen fertig: Sie können krabbeln – und besitzen sogar eine rudimentäre Form von Gedächtnis.

„Xenobots 2.0“ heißen die neuesten Maschinentiere oder Tiermaschinen, von der Forscher um Michael Levin diese Woche in einer Studie berichten. Für die erste Generation hatte das Team um den Harvard-Biologen noch Haut- und Herzmuskelzellen des Krallenfrosches Xenopus leavis verwendet (daher der Name „Xenobots“).

Selbstorganisation von Stammzellen

Nun, bei Generation Nummer zwei, verlief der Konstruktionsweg der natürlichen Entwicklung des Frosches folgend: Die Xenobots 2.0 bestehen aus Stammzellen, die sich selbstständig ausdifferenzieren und zu einem kugelförmigen Körper zusammenfügen – siehe Video.

Geißeln als Beinchen

Wie in der aktuellen Ausgabe des Journals „Science Robotics“ nachzulesen ist, entwickelten die Zellen auf der Außenseite der Kugel kleine geißelförmige Fortsätze, sogenannte Zilien – solche Geißeln sind auch im menschlichen Körper vorhanden, in der Lunge dienen sie dazu, Fremdkörper aus den Atemwegen zu befördern. Im Fall der Xenobots tun sie etwas anderes: Ihre Bewegungen ermöglichen es den Minirobotern, sich in einer Petrischale fortzubewegen. Um – was zu tun?

Die Anwendungen, die Levin und seinem Team vorschweben, gehen in Richtung Umweltschutz und Umweltmedizin. Die kleinen Roboter sollen in Zukunft Schäden in Ökosystemen erkennen und im Idealfall auch gleich entfernen. So weit ist es freilich noch nicht, den Praxistest bestanden die Xenobots jedenfalls. Ihnen gelang es, in der Petrischale verteilte Eisenoxid-Partikel zu einem kleinen Haufen zusammenzuschieben.

Selbstheilung, Proto-Gedächtnis

„Die Plastizität von zellulären Kollektiven ist erstaunlich. Wir haben beobachtet, wie sich ein neuer Körper bildet, der von jenem des Frosches sehr unterschiedlich ist, obwohl die Zellen ein ganz normales Froscherbgut haben“, sagt Studienleiter Levin. „In einem Froschembryo arbeiten Zellen zusammen, um eine Kaulquappe zu bilden. Ohne diesen Kontext können die Zellen ihre genetisch festgeschriebene ‚Hardware‘ – wie zum Beispiel Zilien – einer ganz neuen Funktion widmen.“

Selbstheilung der Xenobots

Was die neue Generation der Xenobots von ihren Vorgängern unterscheidet, ist ihre Ausstattung mit Fähigkeiten, die man normalerweise nur „echten“ Lebewesen zuschreibt. Zum einen können sich die Zellkugeln nach Verletzungen regenerieren (Video oben). Zum anderen besitzen sie die Fähigkeit, Informationen im Kollektiv aufzunehmen. Oder, um ein Wort des theoretischen Biologen Jakob von Üexküll (1864–1944) auszuborgen: Sie können Aspekte der Umwelt ihrer eigenen Merkwelt einschreiben.

Wie das geht, zeigt folgender Versuch: Levin und sein Team statteten die Froschzellen mit einem fluoreszenten Protein aus, das sich wie ein Schalter verhält. Unter Normalbedingungen gibt das Protein grünes Licht ab – bestrahlt man es hingegen mit Blaulicht einer bestimmten Wellenlänge (390 Nanometer), so beginnt es rot zu leuchten. Als die Forscher eine Zone der Petrischale eben jenem Blaulicht aussetzten, sandten die bereits angekommenen Zellen rotes Licht aus, die anderen blieben grün – und gaben damit Auskunft darüber, welche Umweltbedingungen an welchem Ort vorherrschen. Diese Fähigkeit ließe sich in Zukunft für die Detektion von radioaktiven oder chemischen Schadstoffen ausbauen, schreiben die Forscher, möglicherweise ließen sich auf diese Weise auch Krankheitsherde im menschlichen Körper erkennen.

Den biolelektrischen Code knacken

Noch sei das Zukunftsmusik, sagt der Robotiker und Computerwissenschaftler Josh Bongard, einer der Studien-Coautoren. Gleichwohl gehe die Entwicklung in genau diese Richtung. „Wenn wir Roboter mit neuen Fähigkeiten designen wollen, brauchen wir Supercomputer, um das Verhalten der Zellen zu simulieren. Im Prinzip wäre es für die Roboter möglich, nicht nur über den Zustand der Umwelt zu berichten, sondern die Umwelt auch zu reparieren.“ Voraussetzung dafür wäre nebst sensorischen Fähigkeiten auch ein Stoffwechsel, der die Zellen in der freien Natur unabhängig macht. Ohne Energiezufuhr können die Xenobots derzeit zehn Tage überleben, in einer Nährlösung sind es einige Monate.

Von möglichen praktischen Anwendungen abgesehen bietet die Studie auch einen grundlegenden Perspektivenwechsel an: Die DNA, so betonte Levin kürzlich in einem TED-Talk mit dem Unternehmer Chris Anderson, sei kein Programm für die Entwicklung von Lebewesen, sondern „bloß eine Vorlage für die Herstellung von Proteinen“. Die Entwicklung von der Eizelle zur Kaulquappe werde vielmehr über die elektrische Kommunikation der Zellen gesteuert – und in diesen „bioelektrischen Code“ könne man eingreifen, um Entwicklungspfade zu öffnen, die es in der Natur so nicht gibt. Levin und sein Team haben auf diese Weise etwa auch Plattwürmer mit zwei Köpfen hergestellt, ohne irgendetwas am Erbgut der Zellen zu ändern.