Ein ausgegrabenes Steinwerkzeug
Jayne Wilkins
Jayne Wilkins
Anthropologie

Uralte Kulturzeugnisse auch im Landesinneren

Die Wiege des modernen Menschen mit entwickelter Kultur liegt im südlichen Afrika. Die meisten der rund 100.000 Jahre alten Hinweise darauf wurden bisher in Küstennähe gefunden. Ein Innsbrucker Forscher trug nun zum Beweis bei, dass auch im Landesinneren rituelle Handlungen vollzogen wurden.

„Vielfach wird die Meinung vertreten, dass Verhaltensinnovationen in der frühen Menschheitsgeschichte mit der Küste und Meeresressourcen verbunden sind“, sagt der Geologe Michael Meyer von der Universität Innsbruck. In einer soeben in der Fachzeitschrift „Nature“ erschienenen Studie beschreibt er gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen 105.000 Jahre alte Kristalle, die unter einem Felsvorsprung mehr als 600 Kilometer im Landesinneren Südafrikas entdeckt wurden. „Die Funde belegen, dass die steinzeitlichen Binnenmenschen Verhaltensweisen und kognitive Fähigkeiten an den Tag legten, die gleichwertig sind mit jenen, die man beim Homo sapiens zur gleichen Zeit in unmittelbarer Küstennähe antrifft“, so Meyer.

Bisher „Kultur mit Meeresblick“

Archäologische Ausgrabungsstätten dieser Zeit fanden sich bisher fast ausschließlich in Küstennähe. Das verleitete bisher zu der Annahme, dass die Nähe zum Meer und den dort verfügbaren Nahrungsressourcen möglicherweise irgendwie dazu beigetragen hat, dass sich in der Gehirnentwicklung des Menschen etwas verändern konnte, das in der Folge die Entwicklung kultureller und sozialer Fähigkeiten ermöglicht hat.

Gefunden wurden bisher zahlreiche Artefakte, die einen derartigen Entwicklungssprung belegen, wie etwa Muschelschalen, die nicht als Nahrung genutzt wurden, andere dekorative Artefakte oder Ockerfarben an einigen von Menschen zwischen 125.000 und 70.000 Jahren vor unserer Zeit frequentierten Orten sozusagen mit Meerblick.

Ausgrabungsstätte bei einem Felsvorsprung in der südafrikanischen Kalahari-Wüste
Jayne Wilkins
Ausgrabungsstätte bei einem Felsvorsprung am Rande der südafrikanischen Kalahari-Wüste

Das Team um Jayne Wilkins von der Griffith University in Brisbane (Australien) hat sich weiter im Landesinneren auf die Spuren der frühen modernen Menschen im südlichen Afrika geheftet. In langwieriger Grabungsarbeit haben die Forscherinnen und Forscher unter einem Felsvorsprung am Ga-Mohana-Hügel im Norden Südafrikas zahlreiche Kristalle gefunden, die dort vermutlich rituellen Zwecken dienten. Das Areal am südlichen Rand der Kalahari-Wüste liegt heute rund 665 Kilometer von der Küste entfernt. Fündig wurden sie u.a. in einer Sedimentschicht, die unter der Leitung Meyers und dem zum Zeitpunkt der Untersuchung in Innsbruck tätigen Forscher Luke Gliganic auf rund 105.000 Jahre vor unserer Zeit datiert werden konnte.

Quarzkörner als winzige Uhren

Bei der „Optisch Stimulierten Lumineszenz (OSL)-Datierung“ nützt man natürliche Lichtsignale, „die sich im Laufe der Zeit in Quarz- und Feldspatkörnern anreichern. Dabei kann man sich jedes Korn wie eine winzige Uhr vorstellen, die wir unter kontrollierten Laborbedingungen ‚ablesen‘“, erklärte Meyer. Die aufwendigen OSL-Analysen geben auch über die damaligen Umweltbedingungen Aufschlüsse. Demzufolge war die Umgebung der Fundstätte damals deutlich feuchter als heute.

Einige der entdeckten Kristalle
Jayne Wilkins
Einige der entdeckten Kristalle

Am Ga-Mohana-Hügel fanden die Forscherinnen und Forscher 42 großteils verbrannte Überreste von Straußeneierschalen, die vermutlich einmal als Wasserbehälter dienten. Außerdem gruben sie 22 markant geformte, weiße Kristalle in jener alten Ablagerungsschicht aus. Die Kristalle wurden den Forschern zufolge gezielt zusammengetragen, obwohl sie keinen unmittelbaren Nutzen für die Menschen dort hatten. Sie spielten vermutlich eine Rolle in rituellen Handlungen an diesem Ort, der bis heute von der dort ansässigen Bevölkerung als spiritueller Ort des Gebetes genutzt wird.

„Einige unserer Ideen, zu den Verbindungen zur Entwicklung des Homo sapiens in Verbindung mit Küstenregionen müssen überdacht werden“, so Wilkins. Die neuen Hinweise aus der Kalahari unterstützen demnach eher die These, dass sich der Sprung zum modernen Menschen nicht nur in Meeresnähe, sondern in verschiedensten Regionen Afrikas vollzogen hat.