Ampulle it dem neuen Covid-Impfstoffkandidaten NDV-HXP-S
APA/AFP/Government Pharmaceutical Organization (GPO) of Thailand/Handout
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Pandemie

Ein Impfstoff für alle

Die Pandemie teilt die Welt in Arm und Reich: Westliche Industrienationen können sich die teuren Impfstoffe gegen das Coronavirus leisten, nicht so die Länder des globalen Südens. Ein neuer Impfstoff namens NDV-HXP-S soll das ändern.

WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus sprach kürzlich von einer „grotesken“ Kluft und einem „moralischen Skandal“. Dass die Impfstoffe gegen die Lungenkrankheit Covid-19 bisher vor allem in den wohlhabenden Ländern angekommen sind, ist nicht nur ungerecht, sondern auch irrational.

Gesucht: Globale Lösung

Denn wenn der Erreger in benachteiligten Regionen weiter ungebremst zirkuliert, sind das die besten Voraussetzungen zur Ausbildung neuer Mutanten – die dann früher oder später auch im Westen ankommen werden. Um die Pandemie dauerhaft unter Kontrolle zu bringen, führt an einer globalen Lösung kein Weg vorbei.

Dass das noch nicht gelungen ist, hat – von der Tendenz zum Impfnationalismus abgesehen – auch technologische und finanzielle Gründe. Vor allem die Herstellung der beiden mRNA-Impfstoffe von Pfizer und Moderna benötigt eine ausgereifte Infrastruktur, die nicht in allen Ländern vorhanden ist. Und der Aufbau derselben, Lieferketten von Rohstoffen inklusive, kostet Geld – was sich in durchaus geschmalzenen Preisen pro Impfdosis niederschlägt.

Ein Dollar pro Dosis

Ein neuer Impfstoff der University of Texas in Austin und der Icahn School of Medicine in New York könnte all diese Probleme lösen. Das Vakzin mit dem Namen NDV-HXP-S setzt auf eine Kombination von Alt und Neu. Altbewährt ist die Herstellungsmethode: NDV-HXP-S wird in Hühnereiern hergestellt, also so, wie das beim Grippeimpfstoff schon seit jeher gemacht wird. Die präklinischen Tierversuche an Hamstern waren vielversprechend, nun starten in Thailand, Vietnam und Brasilien klinische Studien am Menschen.

Klinische Studie nin Tahiland: Ärztin verabreicht Probandin eine Spritze
APA/AFP/Government Pharmaceutical Organization (GPO) of Thailand/Handout
Universität Mahidol in Bangkok: Phase-I-Studie mit NDV-HXP-S

Der österreichische Impfstoffforscher Florian Krammer ist Teil des Entwicklerteams um den ebenfalls aus Österreich stammenden Virologen Peter Palese: „Wenn alles gut läuft, wird der Impfstoff Ende des Jahres zur Verfügung stehen.“ Was eine Dosis wo kosten wird, sei noch nicht klar, sagt Krammer im Gespräch mit dem ORF. Ziel sei es jedenfalls, den Preis „unter einem Dollar pro Dosis“ zu halten.

Humanitäre Lizenz

Dass für die klinischen Versuche Thailand, Vietnam und Brasilien ausgewählt wurden, ist kein Zufall. Dort gibt es die nötige Infrastruktur für die Herstellung von Influenza-Impfstoffen, die mit geringem Aufwand nun auch für die Produktion von NDV-HXP-S adaptiert werden könnte und diese Länder von Importen unabhängig machen würde.

Der Impfstoff steht unter einer humanitären Lizenz, mit an Bord ist auch die in der globalen Impftstoffverteilung engagierte Non-Profit-Organisation PATH in Seattle. Prognosen zufolge könnten mit der Hühnerei-Methode weltweit eine Milliarde Dosen pro Jahr hergestellt werden. Damit sind die Voraussetzungen gegeben, dass von dem Vakzin in Zukunft alle profitieren werden, auch die ärmsten Länder dieser Welt.

Andrea Taylor vom Duke Global Health Innovation Center bezeichnete den bei NDV-HXP-S gewählten Ansatz kürzlich gegenüber der „New York Times“ als „bahnbrechend“. Ähnlich sieht das Bruce Innis von PATH, er betrachtet das Vakzin als „Home Run“ für den Impfschutz. Das hat auch wissenschaftliche Gründe: In NDV-HXP-S kommt nämlich eine brandneue Technologie zu Einsatz, die auf Grundlagenforschungen am MERS-Virus zurückgeht.

Das Problem mit dem Spike

Nachdem der Erreger der schweren Lungenkrankheit MERS im Jahr 2012 erstmals identifiziert worden war, entschloss sich der Strukturbiologe Jason McLellan zur Entwicklung eines Impfstoffes. Dem Immunsystem das Spike-Protein des Erregers anzubieten, war naheliegend, doch McLellan stieß nach kurzer Zeit auf ein Problem. Das Spike-Protein, mit dem sich das MERS-Virus Zutritt zu menschlichen Zellen verschafft (ebenso wie das neue Coronavirus SARS-CoV-2), besitzt im Grunde nicht eine Form, sondern deren zwei.

Vor der Fusion mit der Zelle hat es die Struktur einer Tulpe, danach sieht es ganz anders aus, so ähnlich wie ein Speer. Für das Immunsystem macht das einen Unterschied, wie McLellan herausfand. Während die Immunantwort gegenüber dem Tulpen-Protein stark ausfällt, löst das Speer-Protein eine deutlich geringere Reaktion aus. Der Forscher von der University of Texas musste also einen Weg finden, das Spike-Protein in der Tulpenform zu stabilisieren.

Modell des Spike-Proteins des neuen Coronavirus SARS-CoV-2
University of Texas at Austin
Das modifizierte Spike-Protein im Impfstoff NDV-HXP-S.

Das gelang: McLellan ersetzte zwei der über 1.000 Bausteine des Proteins durch die Aminosäure Prolin, die offenbar eine ähnliche Wirkung wie Heftklammern haben und somit verhindern, dass sich das Protein in die für das Immunsystem ungünstige Speerform verwandelt.

Lagerung: Kühlschrank genügt

Den gleichen Trick hat nun McLellan auch beim Spike-Protein des neuen Coronavirus angewandt. Das in NDV-HXP-S verwendete Protein ist an sechs Stellen mit Prolin-Heftklammern versehen, „HexaPro“ heißt dieses modifizierte Molekül, auf dem nun die Hoffnungen für eine gerechte Verteilung der Impfstoffe ruhen.

McLellan ist optimistisch, dass das gelingen und der Impfstoff „sicher, wirksam und erschwinglich sein wird – für alle Menschen auf der Welt". Für eine globale Anwendung spricht auch der Umstand, dass NDV-HXP-S keine Kühlketten mit flüssigem Stickstoff benötigt und in einem ganz normalen Kühlschrank gelagert werden kann. Bleibt noch die Hürde der klinischen Versuche zu nehmen. In Vietnam und Thailand sind die Phase-I-Studien bereits im Gange, in Brasilien sollen sie demnächst starten.