Der Ringmagnet am Fermilab, der für das Myon g-2 Experiment verwendet wurde.
Fermilab / Reidar Hahn
Fermilab / Reidar Hahn
Physik

Hinweise auf bisher unbekannte Teilchen

Neue Messungen am US-Forschungslabor Fermilab bei Chicago weisen auf die Existenz bisher unbekannter Teilchen oder gar einer neuen Naturkraft hin. Denn die gemessenen Werte weichen von den im physikalischen Standardmodell vorhergesagten ab.

Möglicherweise steckt dahinter eine neue Grundkraft – neben den vier aus dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik bekannten Kräften von Schwerkraft, Elektromagnetismus, schwacher und starker Wechselwirkung. Die Messungen liefern “eine starke Evidenz für bisher unbekannte Teilchen oder eine neue Kraft“, urteilt der britische Science and Technology Facilities Council laut BBC. Die in den 1970er Jahren aufgestellte Standardtheorie gerät durch Experimente an Teilchenbeschleunigern wie dem Fermilab oder dem CERN in Genf zunehmend unter Druck.

Myonen, die schweren Geschwister der Elektronen

Im Mittelpunkt des aktuellen Experiments standen Myonen. Wie Elektronen besitzen auch sie, ihre schweren Geschwisterteilchen ein magnetisches Moment. Dieses wird durch das sogenannte gyromagnetische Verhältnis „g“ ausgedrückt wird. In erster Näherung beträgt dieser Wert für das Myon 2.

„Bei einer präzisen experimentellen Messung von g stellte man aber schon vor 70 Jahren fest, dass sein genauer Wert leicht – im Promille-Bereich – von 2 abweicht“, erklärte Gilberto Colangelo, Direktor des Albert Einstein Center und Professor für Theoretische Physik an der Universität Bern, laut einer Mitteilung der Hochschule. Die Abweichung von g von 2, kurz „g-2“ genannt, ist das sogenannte anomale magnetische Dipolmoment.

Kluft zwischen Theorie und Praxis

Colangelo lieferte vergangenes Jahr mit Kolleginnen und Kollegen die bisher präzisesten theoretischen Berechnung des anomalen magnetischen Dipolmoments des Myons auf Grundlage des Standardmodells. Die Ergebnisse erschienen damals im Fachmagazin „Physics Reports“. Der Vergleich der beiden Werte – des theoretisch berechneten und des experimentell gemessenen – zeigt, ob eine Physik jenseits des Standardmodells existieren könnte.

Die am Mittwochabend vorgestellten vorläufigen Ergebnisse der „Muon g-2“-Kollaboration bestätigen nun, was sich bereits vor 20 Jahren am US-amerikanischen Brookhaven National Laboratory angedeutet hat: Das anomale magnetische Moment von Myonen scheint tatsächlich größer zu sein als theoretisch erlaubt.

Erhöhung der Signifikanz – bald „Entdeckung“?

Die Signifikanz der Messungen habe sich dabei von 3,7 Sigma auf 4,2 Standardabweichungen erhöht. Das bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Abweichung zwischen Experiment und Theorie zufällig ist, beträgt 0,0025 Prozent. Bei Werten von drei Standardabweichungen sprechen Physiker von „Hinweisen“, bei fünf Standardabweichungen von einer „Entdeckung“.

Die experimentellen Teilchenphysiker zielen darauf ab, die Genauigkeit ihrer Messungen weiter zu erhöhen. Parallel arbeiten die Theoretiker an noch präziseren Berechnungen. „Wenn durch Verbesserung der Messungen und der theoretischen Berechnungen die Abweichung bestätigt und potenziell sogar größer wird, kann das jetzige deutliche Zeichen einer Physik jenseits des Standardmodells hoffentlich als Entdeckung deklariert werden“, so Colangelo.