Eine Krankenschwester hält eine Dosis mit dem AstraZeneca-Impfstoff in der Hand
AFP – NORBERTO DUARTE
AFP – NORBERTO DUARTE

Warum es zu Thrombosen kommt

Die Ursache für die sehr selten auftretenden Blutgerinnsel nach einer AstraZeneca-Impfung scheint geklärt. Laut einer neuen Studie ähnelt der Mechanismus einer Nebenwirkung, die bei der Behandlung mit dem Gerinnungshemmer Heparin auftritt. Ausgangspunkt für die Studie war jene Krankenschwester aus Zwettl, die im Februar zehn Tage nach einer Impfung gestorben war.

Die Erklärung inklusive möglicher Früherkennungs-, Diagnose- und Therapiemöglichkeiten durch ein internationales Wissenschaftlerteam – darunter auch Paul Kyrle und Sabine Eichinger vom AKH Wien – ist jetzt im „New England Journal of Medicine“ erschienen. Die Schlussfolgerung der Fachleute: Die Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff kann als Resultat in seltenen Fällen zu einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) führen – vermittelt durch aktivierte Antikörper gegen bestimmte Proteine. „Das ähnelt im klinischen Erscheinungsbild einer durch Heparin ausgelösten autoimmunbedingten Thrombozytopenie", heißt es in der Studie.

Patientin Null aus Zwettl

So schnell dürfte es mit der wissenschaftlichen Erklärung von möglichen seltenen Komplikationen nach einer Impfung noch nie gegangen sein. Nach einem ersten Thrombose-Zwischenfall nach der Erstimpfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff Mitte Februar wurde mit der vollen wissenschaftlichen Publikation in der angesehensten Medizin-Fachzeitschrift der Welt extrem rasch reagiert.

Die Patientin Null stammte aus Österreich, eine Krankenschwester aus dem Krankenhaus Zwettl in Niederösterreich. Die Mediziner und Medizinerinnen schreiben: „Eine bis dahin gesunde 49-jährige im Gesundheitswesen Tätige erhielt ihre erste Dosis ChAdOx1 nCov-19 Mitte Februar 2021 (Tag 0).“ Zehn Tage danach wurde die Frau ins Krankenhaus aufgenommen. Sie starb trotz aller Bemühungen der Ärzte. In der Autopsie zeigte sich auch das Vorliegen einer Thrombose in Gehirnvenen (Sinusvenenthrombose).

Elf Fälle aus Österreich und Deutschland untersucht

Bis zum 15. März gab es allerdings bereits Meldungen von zehn weiteren Patienten und Patientinnen mit thromboembolischen Komplikationen fünf bis 16 Tage nach einer solchen Impfung. Das Team um Andreas Greinacher von der Uni-Klinik Greifwald untersuchte das klinische Erscheinungsbildung und die Laborparameter von elf solcher Patienten aus Deutschland und Österreich mit Thrombosen oder pathologischem Blutplättchenmangel nach Immunisierung mit der AstraZeneca-Vakzine.

Das mittlere Alter lag bei 36 Jahren, neun der Betroffenen waren Frauen. „Alle Patienten hatten eines oder mehrere thrombotische Ereignisse – mit der Ausnahme eines Betroffenen, der eine tödliche Gehirnblutung aufwies“, schrieben die Wissenschaftler. In neun der zehn anderen Fälle wurden venöse Thrombosen des Gehirns nachgewiesen. Insgesamt starben sechs der elf Patienten, deren Befunde in der wissenschaftlichen Arbeit analysiert wurden.

Mangel an Blutplättchen – wie nach Heparinbehandlung

Was die Wissenschaftler laut ihren Angaben auf die offenbar richtige Spur brachte, war die Ähnlichkeit mit einer sonst sehr seltenen Komplikation, welche die Folge einer Behandlung mit Heparin sein kann. Heparin wird üblicherweise verwendet, um die Blutgerinnung zu hemmen. In sehr seltenen Fällen kann es aber zur Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) kommen – eine Erkrankung, bei der die Anzahl der Thrombozyten (Blutplättchen) abfällt und das Immunsystem Antikörper gegen ein bestimmtes, von ihnen gebildetes Protein (Plättchenfaktor 4 – PF4) bildet. Daraus können im ganzen Körper Blutgerinnsel entstehen.

Aber: „Keiner der Patientinnen und Patienten hatte vor dem Auftreten der Symptome oder der Diagnose einer Thrombose Heparin erhalten“, heißt es in der Studie. „Da das klinische Erscheinungsbild aber frappant einem Heparin-induzierten Blutplättchenmangel ähnelte“, sei sofort eine Untersuchung von Blutserumproben veranlasst worden.

Das Ergebnis: Alle Betroffenen wiesen Antikörper gegen den Blutplättchenfaktor 4 auf. Zusätzlich konnten die Forscherinnen und Forscher eine Aktivierung der noch vorhandenen Blutplättchen nachweisen, was offenbar zu den Thrombosen führte. Sie schlagen daher vor, das Syndrom „vaccine-induced immune thrombotic thrombocytopenia“ (VITT) zu nennen.

Freie DNA im Impfstoff als Auslöser?

Von einem durch Heparin-Therapie ausgelösten Blutplättchenmangel unterscheidet sich das neue Krankheitsbild in möglicher Verbindung zu der Covid-19-Immunisierung allerdings offenbar durch die Schwere der Thrombosen und ihr mehrfaches Auftreten im Körper. „Interaktionen zwischen der Vakzine und den Blutplättchen oder zwischen der Vakzine und PF4 könnten eine Rolle in der Krankheitsentstehung sein. Ein möglicher Auslöser für das Entstehen der PF4-Antikörper könnte freie DNA in der Vakzine sein“, schreiben die Fachleute.

Der AstraZeneca-Impfstoff basiert auf einem Adenovirus, der Zellen infiziert und zum Bau des CoV-Spike-Proteins anregt. In jeder Impfdosis befinden sich 50 Milliarden Virusteilchen, erklärte Studienleiter Andreas Greinacher gegenüber der Fachzeitschrift „Science“. Einige wenige von ihnen könnten auseinanderbrechen und ihre DNA freisetzen. Diese DNA ist ähnlich wie Heparin negativ geladen, was zu einer Bindung mit dem positiv geladenen Protein PF4 führen könnten. Dieser Komplex könnte die Produktion von Antikörpern auslösen. Möglich ist auch, dass diese Antikörper schon vor der Impfung vorhanden sind und durch sie angekurbelt werden.

Bei Verdacht: Blutuntersuchung auf PF4-Antikörper

Besonders wichtig für Zukunft wäre Aufmerksamkeit, um die mögliche seltene Komplikation frühzeitig zu entdecken und entsprechend zu behandeln. Die Wissenschaftler betonten: „Erstens sollten klinisch tätige Ärzte sich dessen bewusst sein, dass venöse oder arterielle Thrombosen an sonst nicht üblichen Lokalisationen wie Gehirn oder Bauchraum fünf bis 20 Tage nach der Impfung auftreten können. Wenn eine solche Reaktion von einem Blutplättchenmangel begleitet ist, kann das eine unerwünschte Nebenwirkung einer vorangegangenen Covid-19-Impfung sein.“

Bei Verdacht sollte schnell eine Blutuntersuchung auf PF4-Antikörper durchgeführt werden. Liegen solche Antikörper vor, sollte ein Test auf die Aktivierung der Blutplättchen folgen. Das erste Mittel zur Behandlung ist hoch dosiertes Immunglobulin. Eine weitere Möglichkeit sind auch neue und nicht auf Heparin basierende Blutgerinnungshemmer, wie sie in den vergangenen Jahren bereits in vielen medizinischen Anwendungsgebieten (z.B. Kardiologie) eingesetzt werden.

EMA: Vorteile überwiegen

Die europäische Arzneimittelagentur EMA hat bis zu ihrer vorerst letzten Bewertung der Situation 62 Fälle von sogenannten venösen Sinusthrombosen (Gehirn) und von 24 Fällen von Thrombosen im Bauchraum nach 25 Millionen Impfungen mit dem AstraZeneca-Vakzin registriert. Die EMA stellte klar fest, dass die Vorteile der Impfung diese allfälligen sehr seltenen Komplikationen weitaus überwiegen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einen Zusammenhang zwischen Impfung und den thromboembolischen Ereignissen als „plausibel, aber nicht bewiesen“ bezeichnet.