Abgeholzter Regenwald: Palmölplantage in Indonesien
CHAIDEER MAHYUDDIN/AFP
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Bilanz

Nur noch drei Prozent der Ökosysteme intakt

Wie groß ist der Anteil der Naturräume auf der Erde? Eine aktuelle Untersuchung kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Bloß zwei bis drei Prozent aller Ökosysteme weisen keine Schäden auf – und sind als „intakt“ zu bezeichnen.

Die Bilanz, die Forscherinnen und Forscher um den britischen Biologen Andrew Plumptre im Fachblatt „Frontiers in Forests and Global Change“ vorstellen, fällt deutlich pessimistischer aus als einschlägige Studien aus den vergangenen Jahren. Das liegt neben dem Schwund an Naturräumen auch daran, dass es keine allgemeingültige Definition von intakten Ökosystemen gibt.

Beschränkt man sich auf Straßen, Häuser sowie Licht und Lärm der menschlichen Zivilisation als Störquelle, wie das etwa letztes Jahr ein Team um den Naturschutzbiologen James Riggio gemacht hat, fallen 20 bis 40 Prozent der Erdoberfläche in die Kategorie „Wildnis“. Gleichwohl ist damit noch nichts über den inneren Zustand der Ökosysteme gesagt.

Urwald ohne Elefanten

„Was auf Satellitenbildern intakt aussieht, muss nicht intakt sein“, sagt Plumptre im Gespräch mit dem ORF. „Das Kongobecken ist von oben betrachtet eine Wildnis, aber wenn man in den Wald hineingeht, fällt auf: Es gibt dort keine Waldelefanten mehr. Die sind aber wichtig, sie öffnen das Unterholz und ermöglichen es anderen Arten in den Wald vorzudringen.“

Gruppe von Waldelefanten watet durch ein Gewässer
AMAURY HAUCHARD/AFP
Ivindo Nationalpark, Gabun: Waldelefanten spielen im Regenwald eine ökologische Schlüsselrolle

Aus diesem Grund schlägt Plumptre einen Ansatz vor, der auch den Blick des Ökologen vor Ort berücksichtigt: Vollständig intakt ist für den Forscher von der Cambridge University ein Ökosystem dann, wenn die Vegetation erstens keine wesentlichen Lücken aufweist, zweitens die Artengemeinschaft vollständig – und drittens die Zahl der Tiere nicht unter eine kritische Schwelle gefallen ist.

Ein Fünftel der Landfläche noch nicht verloren

Nimmt man diese drei Kriterien als Grundlage, bleiben bloß zwei bis drei Prozent der Ökosysteme auf den Kontinenten übrig, die man als „vollständig intakt“ bezeichnen kann – etwa ein Zehntel dessen, was bisherige Schätzungen veranschlagt haben. „Eine Million Arten sind laut dem letzten UNO-Bericht potenziell vom Aussterben bedroht, dazu kommt noch der Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Natur – die Situation ist nicht gerade großartig“, sagt Plumptre.

Den düsteren Aussichten zum Trotz zeigt die Studie auch Lösungswege auf. Denn laut Plumptres Bilanz könnte immerhin ein Fünftel der Landoberfläche wieder in den Naturzustand zurückversetzt werden. Um das zu erreichen, müsste man Schlüsselarten neu ansiedeln, wie das beispielsweise im Yellowstone-Nationalpark erfolgreich geschehen ist.

Mike Cline, Yellowstone Nationalpark: Wolf steht in einer Graslandschaft
Mike Cline / Public Domain
Yellowstone-Nationalpark: Die Wölfe sind zurück

Dort gibt es seit den 90er-Jahren wieder Wölfe, ihre Präsenz an der Spitze der Nahrungskette hat in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten eine ökologische Kettenreaktion ausgelöst, die Zahl der Wapiti-Hirsche fiel auf ein Drittel des ursprünglichen Bestandes, die Pflanzenwelt erholte sich und bot neuen Tierarten Unterschlupf, kurzum: Der Yellowstone-Nationalpark hat heute wieder jenes natürlichen Gleichgewicht erreicht, das ihm mit Verschwinden des letzten Wolfes im Jahr 1926 abhanden gekommen war.

Geografisch betrachtet ist das freilich die Ausnahme, die intakten Ökosysteme der Erde liegen vor allem im Norden Kanadas und Russlands, in den tropischen Gürteln Afrikas und Südamerikas sowie in der Sahara. Und Europa? Naturräume gebe es da zwar auch, sagt Plumptre. „Als ökologisch intakt würde ich sie allerdings nicht bezeichnen.“