„Der Beginn der chromosomalen DNA-Analyse aus Sedimenten erweitert unsere Möglichkeiten massiv, die Evolutionsgeschichte des Menschen zu erforschen“, frohlockt deshalb Benjamin Vernot vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Mit Kolleginnen und Kollegen hat er Zellkern-DNA von Neandertalern aus Höhlenablagerungen in Nordspanien und Südsibirien untersucht. In Spanien wurde vor etwa 100.000 Jahren eine Population durch eine andere ersetzt, wie das Team soeben in der Fachzeitschrift „Science“ berichtet.
Bisher nur mtDNA aus Sedimenten gewonnen
Die Untersuchung „alter DNA“ ist ein wichtiges Element in der Erforschung unserer evolutionären Vergangenheit. Bisherige Studien basierten auf Analysen der DNA aus fossilen Knochen und Zähnen, in denen das Erbgut vor Umwelteinflüssen geschützt überdauert. Doch solche Skelettüberreste sind äußerst selten, sodass ein Großteil der menschlichen Geschichte für genetische Untersuchungen bisher unzugänglich war.
Um diese Lücke zu schließen, haben die Forscherinnen und Forscher nun neue Methoden zur Anreicherung und Analyse menschlicher Zellkern-DNA aus Sedimenten entwickelt, die in fast jeder Ausgrabungsstätte reichlich vorkommen. Bisher konnte aus archäologischen Sedimenten nur mitochondriale DNA (mtDNA) gewonnen werden, die für die Untersuchung von Beziehungen zwischen verschiedenen Populationen aber nur von begrenztem Wert ist. Die Analyse chromosomaler DNA aus Sedimenten bietet jetzt neue Möglichkeiten, die Vergangenheit des Menschen zu untersuchen.

Erbgut von anderen Säugetieren ausschließen
Bei der Entnahme alter menschlicher DNA aus Sedimenten mussten die Forscher darauf achten, dass die Ablagerungen auch eine beträchtliche Menge an Säugetier-DNA, zum Beispiel von Bären oder Hyänen, enthalten können. „Im menschlichen Genom gibt es viele Bereiche, die beispielsweise der DNA eines Bären ähneln“, so Benjamin Vernot in einer Aussendung des Max-Planck-Instituts.
Die Forscher suchten daher gezielt nach solchen Regionen im Genom, bei denen sie sicher sein konnten, ausschließlich menschliche DNA vorzufinden. Darüber hinaus entwickelten sie Methoden, um den verbliebenen Anteil nicht-menschlicher DNA in einer Probe zu messen. „Wir wollten sicher sein, dass wir nicht versehentlich eine unbekannte Hyänenart untersuchen“, so Vernot.
Effektive Methode
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wendeten dann diese Methoden auf die Analyse von mehr als 150 Sedimentproben aus drei Höhlen an. In zwei dieser Höhlen – der Chagyrskaya- und der Denisova-Höhle im Altai-Gebirge in Südsibirien – wurde bereits im Rahmen früherer Studien Erbgut aus Knochen analysiert. So konnten die Autoren die aus Sedimenten gewonnene DNA mit der aus Knochen gewonnenen DNA vergleichen.
„Die Methoden, die wir entwickelt haben, sind sehr neu. Wir wollten sie daher zunächst an Fundstätten testen, von denen wir gute Vergleichsdaten hatten“, sagt Matthias Meyer, der Leiter der Studie. Und tatsächlich war das Erbgut aus den Sedimenten den Genomen von Knochen am ähnlichsten, die an denselben Orten gefunden worden waren – was die Effektivität der neuen Methoden bestätigte.

Zwei Neandertaler-Populationen in spanischer Höhle
Ausgrabungen an der dritten Fundstätte, Galería de las Estatuas in Nordspanien, unter der Leitung von Juan Luis Arsuaga von der Universidad Complutense de Madrid, hatten Steinwerkzeuge aus einer Zeit vor circa 70.000 bis 115.000 Jahren ans Licht gebracht. Die Forscher fanden jedoch nur einen einzigen Neandertaler-Zehenknochen, und dieser war für die DNA-Probenentnahme zu klein.
„Es gab für uns keine Möglichkeit, die genetische Beschaffenheit der Neandertaler, die in Estatuas lebten, zu untersuchen“, sagt Asier Gómez-Olivencia, ein weiterer beteiligter Wissenschaftler. Die aus den Sedimenten extrahierte Zellkern-DNA zeigte nun, dass nicht eine, sondern zwei Neandertaler-Populationen in der Höhle gelebt hatten, wobei die ursprüngliche Gruppe vor etwa 100.000 Jahren durch eine spätere Gruppe ersetzt worden war.