Unterrricht in einer österreichischen Schule, Perspektive von hintern, jemand hebt die Hand
APA/HANS PUNZ
APA/HANS PUNZ
Volkschulen

Zu wenig Zeit für Mehrsprachigkeit

Deutsch ist in einigen österreichischen Klassenzimmern schon längst nicht mehr die meistgesprochene Muttersprache der Schülerinnen und Schüler. Ärmere Kinder mit Migrationshintergrund haben oft schlechtere Noten. Laut einer Forscherin scheitert das aber meist nicht am Willen, sondern am Schulsystem und der fehlenden Zeit.

Türkisch, Serbisch oder Arabisch – die Mehrsprachigkeit an österreichischen Volksschulen wächst. Die deutsche Sprachwissenschaftlerin Katharina Brizić hat sich in einer vom Österreichischen Forschungsfonds FWF finanzierten Studie vor mehreren Jahren (ca. 2010 bis 2015, Anm.) mit Kindern verschiedener Muttersprachen in elf Wiener Klassenzimmern auseinandergesetzt. Insgesamt 39 Lehrkräfte und 159 Schülerinnen und Schüler mit ihren Eltern wirkten an der Studie mit, berichtete Brizić kürzlich bei einem Vortrag an der Universität Wien.

Soziale Herkunft schlägt Kompetenz

Bei der Betrachtung der Noten, die Kinder mit Migrationshintergrund in den Wiener Volksschulklassen erhalten hatten, fiel Brizić eine starke Abhängigkeit von der sozioökonomischen Herkunft auf. So hatten Kinder aus ärmeren Familien im Schnitt auch schlechtere Beurteilungen. Grund dafür sei aber nicht etwa ein fehlender Wille – im Gegenteil. Brizić: „Je schwieriger es für die Eltern in deren Herkunftsland war, an Bildung zu kommen, desto größer ist oft der Wunsch, dass es den Kindern besser geht.“ Genau dieser Wunsch fruchte aber im österreichischen Schulsystem meist nicht, da der Ehrgeiz oft als „zu hoch“ wahrgenommen werde. Dem Lehrpersonal fehle die Zeit, sich mit diesen Kindern näher auseinanderzusetzen.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 16.4. um 13:55

Den Lehrkräften mache Brizić dabei aber keine Vorwürfe, da es sich ihrer Meinung nach um ein systemisches Problem handle: „Die wenigsten Lehrkräfte wollen jemanden benachteiligen, sie sind aber Teil der Institution Schule mit ihren Regeln und auch mit ihren impliziten Mechanismen.“ Der Bereich Volksschule brauche in Österreich mehr Respekt, Achtung und vor allem Ressourcen. So müssten dem Lehrpersonal auch etwa bereits in der Ausbildung die Werkzeuge mitgegeben werden, den sozialen Unterschieden der Kinder mit Wissen über deren Situation und Herkunft zu begegnen – Voraussetzung dafür sei aber natürlich ein Aufstocken der Ressourcen an den Schulen, um sich dafür im Arbeitsalltag die Zeit nehmen zu können.

Gesellschaftswachstum beginnt in der Volksschule

Als überholt betrachtet Brizić, dass Lehrkräfte an Volksschulen nicht die gleiche Anerkennung oder auch das gleiche Gehalt wie an Mittelschulen erhalten. „In der Volksschule beginnt unsere Gesellschaft zu wachsen und zu handeln und in dem Maße müssen wir den Bereich auch ernstnehmen.“

Auch die Aufteilung der Kinder in verschiedene Schulen nach der vierten Klasse sei laut Brizić veraltet und könne zu Problemen führen: „Diese Spaltung ist für immer. Das heißt, wenn wir dieses dreigliedrige Bildungssystem weiter verfolgen muss uns bewusst sein, dass sich an dieser Stelle tatsächlich die Gesellschaft spaltet.“ Da man in Österreich auch weiterhin an dem aktuellen System festhalte, fordert Brizić: „Es muss uns wichtig sein, dass die Teilung der Kinder nicht nach sozioökonomischen Faktoren, sondern nach Kompetenz stattfindet, um eine soziale Spaltung zu verhindern.“

Abschließend hält Brizić fest: „Es gibt in einer spätmodernen Gesellschaft wie der unseren keine Sprache, die weniger wert wäre als eine andere. Es gibt auch keine Herkunft, die weniger wert wäre als eine andere.“