Grüner Schwamm und Seestern
AFP/BORIS HORVAT
AFP/BORIS HORVAT
Meeresbewohner

Auch Schwämme wandern

Bis jetzt dachte man, Schwämme leben sesshaft, festgewachsen auf Steinen oder auf dem Meeresgrund. Forscherinnen und Forscher haben in einer dicht mit Schwämmen besiedelten Region unter dem ewigen Eis der Arktis nun aber Wanderspuren entdeckt.

Noch im 19. Jahrhundert hielt man Schwämme für Pflanzen. Heute gelten die Tiere als älteste Vielzeller der Erde. Tausende Arten leben vor allem im Meer, festgewachsen auf Steinen oder direkt auf dem Meeresgrund. Es gibt sie in allen Formen, Farben und Größen: Manche sind nur wenige Millimeter, andere sogar mehr als drei Meter hoch; gelbe, rote und grüne, schlauch-, röhren- und kakteenartige Gebilde. Der schwammige Körper wird von einer Art Skelett gehalten, den nadelförmigen Spicula, die aus Kalk oder Kieselsäure bestehen. Die Meeresbewohner filtern Nährstoffe aus einströmendem Wasser.

Bisher dachte man, dass die Tiere ausschließlich sesshaft leben und sich höchstens passiv mit Strömungen über den Meeresboden bewegen. Auf der Expedition mit dem Forschungsschiff „Polarstern“ machten die Forscherinnen und Forscher um Teresa Morganti vom Max-Planck-Institute für Marine Mikrobiologie und Autun Purser vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung eine überraschende Entdeckung, die dieser Lehrmeinung widerspricht.

Meterlange Spuren

Am arktischen Meeresboden stießen sie auf eine dicht mit Schwämmen besiedelte Region unter dem ewigen Eis, vor allem drei Arten waren darin vertreten: Geodia parva, G. hentscheli, and Stelletta rhaphidiophora, mit einer Größe von 17 bis 110 Zentimetern. Wie die Autoren und Autorinnen in ihrer soeben im Fachmagazin „Current Biology“ erschienenen Studie schreiben, handelt es sich um eine der dichtesten jemals beobachteten Schwammgemeinschaften. Wie die vielen Tiere in dieser kargen Unterwasserregion überhaupt überleben können, sei unklar.

Wanderspuren der arktischen Schwammkolonien
AWI OFOBS team, PS101
Die Wanderspuren der Schwämme

Außerdem entdeckten sie auf dem Meeresgrund Spuren von dicht ineinander verwobenen Spicula, die direkt zu den Tieren hinführten. Oft erstreckten sie sich über mehrere Meter und änderten ihre Richtung. Laut dem Forschungsteam sieht es fast so aus, als wären die Schwämme in ihre jetzige Position „gekrabbelt“. Es sei das erste Mal, dass so viele derartige Wanderspuren gesichtet wurden, die eine gewisse Mobilität der Vielzeller nahelegen. Vermutlich können die Lebewesen tatsächlich selbstständig wandern – wenngleich höchstens wenige Zentimeter pro Jahr.

Von Hunger getrieben

Man wisse zwar, dass Schwämme im Larvenstadium beweglich sind, aber bei den allermeisten Arten ging man bisher davon aus, dass erwachsene Tiere komplett sesshaft leben, heißt es in der Studie. Die Vielzeller besitzen auch keine Muskeln oder Organe, die bei der Fortbewegung helfen könnten. Sie reagieren nur auf Stimulation, indem sie ihre Körper zusammenziehen. Hinweise auf mehr Mobilität gebe es vor allem aus dem Labor.

Auf Basis der Unterwasseraufnahmen entwarfen die Forscher ein 3-D-Modell der Schwammspuren. Es sehe auch nicht danach aus, als würden die Wege einfach der Schwerkraft folgen, denn manche Spuren führen eindeutig bergauf. Möglich wird die Fortbewegung vermutlich durch eine Umorganisation der skelettartigen Hülle, abgeworfene und gebrochene Spicula zeichnen so die Wanderspur.

Es könnte der Hunger sein, der die Schwämme in der nährstoffarmen Meeresregion zur Wanderschaft zwingt, schreiben die Studienautorinnen und -autoren. Womöglich liefern sogar die zerriebenen Skelettreste Nährstoffe. Die Wanderungen könnten aber auch etwas mit der Fortpflanzung der Tiere zu tun haben.