Arbeitsamt: Mann sitzt auf einem Sessel und wartet
APA/DPA/JULIAN STRATENSCHULTE
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Marienthal reversed

Tausche Arbeitslosigkeit gegen Jobgarantie

Rund 150 arbeitslosen Personen aus der Gemeinde Gramatneusiedl wird ein Job vom AMS garantiert. Welche Folgen diese Jobgarantie hat, wird derzeit wissenschaftlich beobachtet und analysiert. Projekt und Begleitforschung knüpfen dabei an die bekannte „Marienthalstudie“ an.

Bereits einmal stand Gramatneusiedl im Fokus der empirischen Sozialforschung. Als die Textilfabrik Marienthal 1930 schließen musste, verloren mehr als 1.000 Personen ihre Arbeit. Welche verheerenden Folgen Arbeitslosigkeit für eine Gemeinschaft hat, hat ein Forschungsteam rund um Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hand Zeisel untersucht und 1933 in der Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ publiziert.

„Marienthal.reversed“

Die Studie belegte, dass mit dem Verlust von Arbeit weitreichende Folgen einhergehen. Folgen, die über den Einkommensverlust hinausgehen. Langzeitarbeitslosigkeit führt zu Resignation, sozialer Isolation und gesundheitlichen Schäden. Arbeit sichert nicht nur Einkommen, sondern strukturiert den Tagesablauf, sichert soziale Kontakte und den gesellschaftlichen Status, sagt Hannah Quinz, die an der Universität Wien forscht und am Forschungsprojekt „Marienthal.reversed“ beteiligt ist.

Anders als in der Marienthal-Studie analysieren die Forschenden heute nicht die Folgen der Erwerbsarbeitslosigkeit, sondern die Folgen einer Beschäftigung für langzeitarbeitslose Personen. Möglich ist das, da das AMS Niederösterreich im Rahmen eines Pilotprojekts rund 150 Personen für drei Jahre eine Stelle finanziert. Beispielsweise können sie in einer Holz- und Nähwerkstatt Schulrucksäcke für Kinder herstellen oder einen historischen Radweg durch Marienthal anlegen.

Teilnehmer aus allen sozialen Schichten

Bei den teilnehmenden Personen handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe, erzählt Quinz. Der Großteil sei seit mehr als einem Jahr erwerbsarbeitslos, manche hätten vergangenes Jahr noch gearbeitet, andere seien seit über 20 Jahren auf Jobsuche. Auch die Bildungsabschlüsse reichen von Pflichtschul- bis hin zu Universitätsabschluss. Über die Jobgarantie hätte sich der Großteil gefreut, berichtet die Soziologin. Die Hälfte der Teilnehmenden hätte nicht damit gerechnet, einen Arbeitsplatz zu bekommen. „Trotzdem ist auch mehr als die Hälfte dem Projekt skeptisch gegenübergestanden.“ Doch sie sahen darin auch die Chance, ihre Langzeitarbeitslosigkeit hinter sich lassen zu können.

Der starke Wunsch nach Beschäftigung war das wichtigste Motiv für die Teilnahme. „Es besteht der starke Wunsch das eigene Leben wieder selbst finanzieren zu können“, berichtet Hannah Quinz von den Ergebnissen der ersten Befragung. Auch ein geregelter Tagesablauf und die Chance sich beruflich weiterentwickeln zu wollen, waren wichtige Gründe. Und manche befürchteten auch finanzielle Sanktionen, sollten sie nicht mitmachen.

Wieder respektiert werden

Die Teilnehmenden würden sich eine sinnvolle Arbeit wünschen und eine Arbeit, die sie gerne machen, sagt die Soziologin. Sie wollen im Projekt was dazulernen, respektiert werden und soziale Kontakte pflegen. Bisher würden die Teilnehmenden den Start des Projekts positiv bewerten. Die Jobgarantie gebe ihnen Hoffnung und lasse sie positiv in die Zukunft blicken. „Und auch mehr als die Hälfte gibt an, dass ihnen der geregelte Tagesablauf guttut.“ Zwei Drittel der Teilnehmenden haben die Hoffnung, dass sie im Anschluss an das Projekt wieder leichter am Arbeitsmarkt Fuß fassen können.

Mehr als 380.000 Personen waren im März beim Arbeitsmarktservice als arbeitslos gemeldet. Die Hälfte davon sucht bereits seit mehr als zwölf Monaten einen Job. „Langzeitarbeitslosigkeit ist derzeit eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen“, so Quinz. Die Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit seien gut erforscht, nun gelte es, Lösungen unter die Lupe zu nehmen.