Ausstellungsmaterial: Fotografien, anthropologische Messgeräte
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„Der kalte Blick“ der NS-Forschung

Die „rassenkundlichen“ Studien zweier österreichischen NS-Wissenschaftlerinnen sind Thema einer Ausstellung in Wien: Die Schau im Haus der Geschichte zeigt, wie Menschen von der nationalsozialistischen Feldforschung zum Material degradiert wurden.

„Die Zahl der Juden in Tarnów hat sich um 16.000 verringert.“ Hinter dem Eintrag im Kriegstagebuch einer deutschen Kompanie verbirgt sich eines der vielen Verbrechen der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg.

Die Auslöschung der Juden in dem damals deutsch besetzten polnischen Städtchen hat einen besonders perfiden Charakter. Im Vorfeld fotografierten Dora Maria Kahlich und Elfriede Fliethmann im Jahr 1942 mehr als 100 jüdische Familien und vermaßen die Schädel der insgesamt 565 Männer, Frauen und Kinder zur „Erforschung typischer Ostjuden“, so der damalige Projekttitel.

Karrierefördernde “Rassenkunde“

Die Ausstellung „Der kalte Blick. Letzte Bilder jüdischer Familien aus dem Ghetto von Tarnów“ im Haus der Geschichte Österreich (hdgö) rekonstruiert nun den Hergang dieser pseudowissenschaftlichen Untersuchungen im Dienste der NS-Ideologie.

Es handle sich um einen Fall, in dem sich zwei Forscherinnen von ihren rassistischen Studien Chancen für ihre persönliche Karriere erhofften, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer. Die Schau ist eine Kooperation zwischen dem Naturhistorischen Museum in Wien, der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin. Dort war sie in den vergangenen Monaten wegen der Corona-Krise fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit gezeigt worden. Die Schau soll nach der Station in Wien auch in Polen zu sehen sein.

Fotos 1997 im Museum entdeckt

Ausgangspunkt ist ein 1997 von der Kuratorin Margit Berner im Naturhistorischen Museum entdeckter Karton mit den Fotos. In jahrelanger Kleinarbeit gelang es ihr, die Todes- und Lebenswege der Porträtierten zu rekonstruieren. Nur 26 der 565 fotografierten Menschen hatten das Grauen überlebt. Die meisten Familien waren von den Nazis ausgelöscht worden.

Der Verwalter des Ghettos der Stadt habe seinen 17-jährigen Sohn eigens auf seine Streifzüge mitgenommen, um ihm das Erschießen von Juden beizubringen, erinnerte der Historiker Götz Aly, der die Schau mitkuratiert hat. Als die Wissenschaftlerinnen von der Ermordung der von ihnen Fotografierten hörten, hätten sie sich gefreut: „Unser Material ist jetzt schon einmalig“, zitierte Aly einen Briefwechsel der beiden Frauen.