Illustration von drei Krebszellen
©peterschreiber.media – stock.adobe.com
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Paläopathologie

Krebsrate im Mittelalter höher als angenommen

Bis zur Hälfte aller Menschen, die heute in Großbritannien sterben, leiden – unter anderem – an Krebs. Doch schon im Mittelalter war Krebs laut einer neuen Studie viel weiter verbreitet als bisher angenommen.

Zwischen dem Jahr 600 und 1600 dürfte demnach die Krebshäufigkeit zum Todeszeitpunkt bei neun bis 14 Prozent gelegen sein, berichtet ein Team um Piers Mitchell vom britischen „After the Plague“-Projekt der Universität Cambridge.

143 Skelette untersucht

„Die Mehrheit der Krebserkrankungen entwickelt sich aus Weichteilgewebe, das bei menschlichen Überresten aus dem Mittelalter längst verschwunden wäre. Nur ein Teil der Krebsleiden breitet sich auch in Knochen aus – und wiederum nur wenige dieser Metastasen sind an der Oberfläche der Knochen sichtbar. Deshalb suchten wir auch im Inneren von Knochen nach Zeichen für bösartige Erkrankungen“, so Mitchell in einer Aussendung. Die wissenschaftliche Studie seines Teams ist in „Cancer“ veröffentlicht worden.

Die Experten von der Universität Cambridge untersuchten 143 Skelette bzw. Skelettteile von Menschen, die zwischen dem 6. und dem 16. Jahrhundert auf sechs mittelalterlichen Friedhöfen in und um die Universitätsstadt begraben worden waren. „Mit den Computertomografie-Untersuchungen konnten wir auch in Knochen hineinschauen“, erklärte die beteiligte Paläopathologin Jenna Dittmar.

“Eine der häufigsten Erkrankungen“

Bisher war man davon ausgegangen, dass Durchfallerkrankungen, Pest, Unterernährung und Verletzungen sowie die Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen die Haupttodesursachen für die Menschen des Mittelalters gewesen sind. Jetzt allerdings sieht die Sachlage anders aus. „Wir müssen Krebs zu den häufigsten Erkrankungsarten hinzuzählen, welche die Menschen im Mittelalter betrafen“, sagte Jenna Dittmar.

Zwei der ausgegrabenen mittelalterlichen Knochen, beim Pfeil Metastasen (CT-Scan eines Schädels re.)
Jenna Dittmar / Bram Mulder
Zwei der ausgegrabenen mittelalterlichen Knochen, beim Pfeil Metastasen (CT-Scan eines Schädels re.)

Bei den menschlichen Überresten von 96 Männern, 46 Frauen und einer Person, deren Geschlecht nicht festgestellt werden konnte, wurden Wirbelsäulen, Oberschenkel und Beckenknochen per Röntgen und CT untersucht. Bei Knochen von fünf Personen (3,5 Prozent) wurde das Vorliegen von Metastasen direkt belegt. Die meisten Fälle betrafen das Becken. Die Forscherinnen und Forscher gingen von einer Treffsicherheit der CT-Scans von 75 Prozent aus. Gleichzeitig kommt es nur bei einem Drittel bis der Hälfte der tödlichen Krebserkrankungen zu Knochenmetastasen. Daraus ergibt sich, dass neun bis 14 Prozent der Menschen im Mittelalter mit einem Krebsleiden starben.

Heute: Höhere Lebenserwartung, Tabak

In Großbritannien leiden 40 bis 50 Prozent der Menschen zu ihrem Todeszeitpunkt (auch) an Krebs. Dieser drei- bis vierfach höhere Anteil im Vergleich zum Mittelalter in Großbritannien lässt sich auf mehrere Fakten zurückführen: Erstens ist die Krebshäufigkeit eine Funktion des erreichten Lebensalters, und die Lebenserwartung ist drastisch gestiegen. Eine der häufigsten Krebsursachen ist das Rauchen – und Tabak wurde erstmals im 16. Jahrhundert aus Amerika nach England gebracht.

2019 starben in Österreich laut Statistik Austria 83.386 Menschen, die häufigsten Ursachen waren Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems (38,6 Prozent) und Krebs (24,6 Prozent). Im hohen Alter sind Herz-Kreislauf-Leiden ein Hauptgrund, im mittleren Alter Krebs, in jungen Jahren neben Krebs noch vermehrt Suizide und Unfälle.