Schatten von Gewaltszene
APA/dpa/Maurizio Gambarini
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Verstärker

Naturkatastrophen erhöhen Gewaltbereitschaft der Männer

Weltweit erlebt fast jede dritte Frau während ihres Lebens Gewalt. Durch die CoV-Pandemie hat sich die Lage zusätzlich verschlimmert. Wie britische Forscherinnen nun warnen, können auch andere extreme Ereignisse wie Naturkatastrophen ähnlich fatale Auswirkungen für Frauen haben – die Gewaltbereitschaft der Männer steigt.

Die gewaltsamen Todesfälle der jüngsten Vergangenheit zeigen, wie allgegenwärtig Gewalt gegen Frauen noch heute ist, nicht nur hierzulande, sondern weltweit. Das verdeutlicht auch ein vor Kurzem veröffentlichter Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Jede Dritte hat einschlägige Erfahrungen, und sehr häufig passieren die Übergriffe innerhalb einer Beziehung. Im Zuge der CoV-Pandemie habe sich die Situation für viele Frauen und Mädchen weiter verschlimmert, so die WHO in einem weiteren Dokument.

Nicht alle Weltregionen sind gleichermaßen betroffen. Aber sogar in vergleichsweise reichen europäischen Ländern haben bis zu 23 Prozent aller Frauen schon Gewalt erlebt. In besonders armen Ländern wie Bangladesch oder Afghanistan ist es sogar die Hälfte der weiblichen Bevölkerung. Die große Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und traditionelle Männer- und Familienbilder sind laut WHO die wesentlichen Ursachen für die Gewalt.

Verstärkende Ereignisse

Die Forscherinnen um Alyssa Mari Thurston von der London School of Hygiene and Tropical Medicine machen nun auf einen weiteren Aspekt aufmerksam, der die Gewalt gegen Frauen und Mädchen – besonders in ärmeren Regionen – zusätzlich fördern könnte: Naturkatastrophen und ihre Folgen. Wie die Studienautorinnen im Fachblatt „BMJ Global Health“ berichten, haben verheerende Naturereignisse wie Überflutungen und Wirbelstürme durch die Erderwärmung in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen.

Schon die Katastrophen an sich treffen Frauen oft härter als Männer, meist sterben mehr Frauen und sie leiden stärker unter den wirtschaftlichen Folgen, heißt es in der Studie. Das liege ebenfalls an den großen Geschlechterdifferenzen. Immer mehr Hinweise gebe es aber auch, dass fatale Naturereignisse für die Frauen auch menschlich eine Katastrophe sind, indem sie zu noch mehr Gewalt führen.

Gewalttaten werden mehr

Thurston und Co. durchforsteten die wissenschaftliche Literatur zum Thema. In ihrer Metaanalyse wurden insgesamt 37 Studien berücksichtigt, mehr als die Hälfte davon quantitative Analysen, aber auch qualitative Arbeiten mit Interviews und Fallstudien. Erfasst waren körperliche sowie psychische Gewaltdelikte, in manchen Studien auch Mordfälle und Zwangsehen. Mehr als ein Drittel aller Taten wurde durch aktuelle oder frühere Partner verübt.

Aus fast der Hälfte der quantitativen Arbeiten lässt sich laut den Forscherinnen ein statistischer Zusammenhang zwischen Naturkatastrophen und einem Anstieg der Gewalt gegenüber Frauen ableiten, einige andere fanden zumindest eine Korrelation mit bestimmten Gewaltakten. Nur fünf konnten keinen Zusammenhang ausmachen. Weniger war die Gewalt im Umfeld von Katastrophen jedenfalls nirgendwo geworden. Dabei müsse man auch bedenken, dass es in der Regel eine höhere Dunkelziffer bei Gewaltdelikten gibt, weil Frauen Angst haben, darüber zu sprechen, so die Autorinnen. Das spiegle sich auch in den Fallgeschichten.

Warum die Gewalt zunimmt

Wie lässt sich die Gewaltzunahmen nach Naturkatastrophen erklären? Auch darauf haben Thurston und ihre Kolleginnen einige mögliche Antworten. Man wisse, dass manche Stressfaktoren mitunter Gewalt schüren, z.B. Traumata, psychische Belastungen oder finanzielle Unsicherheit, etwa wenn die Familie durch die Katastrophe auseinandergerissen wird oder die Behausung verloren geht.

Aber auch die äußeren Umstände könnten laut den Forscherinnen die Gewalt begünstigen, etwa wenn Frauen und Mädchen in ungeschützten Notlagern untergebracht werden müssen und es zu wenig Hilfsangebote von Seiten der Behörden gibt. Außerdem können Naturkatastrophen bereits vorhandene Gewaltauslöser weiter verschlimmern: Die Ungleichheit der Geschlechter nimmt oft weiter zu, strenge Sozialnormen verstärken sich und den Frauen kommt jede Form der Interessensvertretung abhanden.

Die Gewalterfahrungen haben laut den Forscherinnen viele unerwünschte gesundheitliche Konsequenzen: unerwünschten Schwangerschaften, sexuell übertragbare Krankheiten, Verletzungen und psychische Probleme bis hin zum Suizid. Von der Politik fordern sie daher mehr Bewusstsein dafür, wie sehr manche Ereignisse Frauen – direkt oder indirekt – ganz besonders betreffen können. Das sollte dringend auch beim Krisenmanagement berücksichtigt werden.