Ann Cotten
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Ann Cotten

„Wir brauchen neue Metaphern“

Warum verändern sich Gesellschaften einmal langsamer und einmal schneller? Weil sich Kulturgeschichte wie ein „memory foam“ verhält, meint die Schriftstellerin und Germanistin Ann Cotten. Der „Erinnerungsschaum“ liefere ein gutes Bild für Geschwindigkeiten des Sozialen. Das Credo von Cotten: „Wir brauchen neue Metaphern.“

Die erfolgreiche Lyrikerin und Autorin – vor Kurzem etwa mit dem Gert-Jonke-Preis ausgezeichnet – hat sich nach gut einem Jahrzehnt Literatur wieder in die Welt der Wissenschaft begeben. Am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) der Kunstuni Linz in Wien geht sie der Frage nach, welche Rolle Metaphern bei der Beschreibung der Welt spielen. Sie plädiert für neue Sprachbilder, die einen Bezug zu Körpern von Tieren, Menschen und Maschinen haben und ihre Herkunft aus den Naturwissenschaften nicht verleugnen.

science.ORF.at: Sie schrieben in einem Literaturblog, dass Sie „nicht zu den SchriftstellerInnen gehören wollen, die von ihren eigenen Erlebnissen ausgehend verallgemeinernde Thesen ausformulieren“. Gelingt Ihnen das?

Ann Cotten: Ich versuche, wachsam zu sein. Es gibt beide Gefahren. Einerseits die Gefahr, bloß armchair research zu machen, wo man gar keine eigenen Erlebnisse hat. Und andererseits, dass man von irgendetwas beleidigt ist und daraus eine ganze Theorie spinnt. Im besten Fall korrigieren sich die beiden. Ich kenne leider viele Gegenbeispiele aus Literatur und Journalismus: hübsche Storys mit Fallbeispielen, aber mangelhaft bei den Hintergrundinformationen.

Porträtfoto Ann Cotten
IFK

Ann Cotten ist aktuell Junior Fellow am IFK. Am Mo., 10. Mai, 18.15 Uhr, hält sie den Online-Vortrag „Viskose Symmetrie. 3.000 Jahre Philosophie als Memory Foam betrachtet“.

Finden Sie nicht gut?

Cotten: Nein, denn das ist ein typisches Mittel rechter Politik: mitleidheischende Einzelfälle, um von den strukturellen Fragen abzulenken. Das ist ein sehr effektives Mittel, um Einfluss zu nehmen und Meinungen zu bilden. Um politische Themen seriös zu behandeln, müsste man aber im Gegenteil LeserInnen helfen, eine angemessene Vorstellung von Statistik und Größenordnung zu entwickeln – auch im Sinne der Volksbildungsinitiative von Otto Neurath, die anerkennt, dass es unseren Gehirnen schwerfällt, mit großen Zahlen zu arbeiten.

Sie versuchen mit dem Begriff des „memory foam“, sich 3.000 Jahren Kulturgeschichte mit einer neuen Metapher zu nähern. Ist das armchair research oder baut das auf persönlichen Erfahrungen auf?

Cotten: Sagen wir, ich stochere da im Plüsch herum. Da ich aus der Literatur komme, arbeite ich schon lange mit Metaphern und rhetorischen Mitteln, und zwar oft an der Grenze dessen, was funktionieren kann. Ich habe also eine Masse an Erfahrung mit sprachlicher Funktionalität und produktivem Sprachmissbrauch. Das versuche ich jetzt aufzuarbeiten, indem ich Theorie dazu nachlese. Also doch armchair, aber mein Lesen ist mehr ein Schaufeln. Es gibt irrsinnig viel Literatur in diesem Feld zwischen Psychologie, Design, Philosophie, Ökonomie, Mind-Body-Dualismus …

Was hat denn der Leib-Seele-Dualismus mit Metaphern zu tun?

Cotten: Metaphern sind der Gegenbeweis dazu. Dichterische Arbeit hat ja z.B. massiv mit embodied cognition zu tun. Also mit der Beobachtung, dass wir nicht „nur mit dem Gehirn“ denken, sondern dass beim sogenannten Denken auch das Körpergedächtnis, der Wahrnehmungsapparat, etc. auf eine vernetzte Weise zusammenarbeiten. Deswegen machen Metaphern mehr Spaß als Texte, die so tun, als wären wir Leseköpfe, denen so eine Art Urteils-Guillotine angeschlossen ist. Metaphern, die spürbare Bilder benutzen, den Körper aktivieren, Erinnerungen wecken, sind bunter und plastischer – und lustvoller als eine Prosa, die nicht mit solchen Körperelementen arbeitet. In der Wissenschaft dominiert aber weiter das Paradigma, kühl zu sein und möglichst alle Sinnlichkeit in der Sprache auszuschalten – was ich für eine Illusion halte, weil auch die Antisinnlichkeit eine Sinnlichkeit ist. Auch der Zwang zu möglichst starren, Maschinenkitsch-affinen Formen ist eine körperliche Erfahrung, die man beim Schreiben oder Lesen macht.

Sie haben sich mit Ihrem Forschungsthema am IFK einiges vorgenommen, Rhetorik, Leib-Seele-Dualismus, Embodiment, Künstliche Intelligenz, Kritik am Szientismus, ist das nicht ein bissl viel?

Cotten: Ja (lacht). Ich versuche, alles das, was ich jetzt sage, nicht mehr sagen zu müssen, weil es schon andere gesagt haben. Je mehr ich gelesen habe, umso mehr kann ich auch loslassen. Der Punkt, um den es geht, ist, dass bitte auch der Journalismus von dieser binären Frontstellung loslassen muss, hier kreatives wildes Denken, dort kühle rationale Wissenschaft. Die Formen der Kunst sind extrem rigoros. Und umgekehrt bröckelt der erhabene Rationalismus der Wissenschaft, wo man nur hinschaut, eben an den sprachlichen Ausdrücken.

Memory foam – jemand hat seine Hand auf eine entsprechende Matratze gedrückt
limco72 – stock.adobe.com
Memory Foam: Abdrucke bleiben erhalten

In Ihren Büchern und auch in Ihren neuen Metaphern spüre ich eine starke Begeisterung und Respekt vor den Naturwissenschaften. Oder sogar eine Sehnsucht?

Cotten: Riesenrespekt und Zuneigung. Es ist nichts faszinierender als die Wirklichkeit. Mir ist viel lieber, man schaut genau hin, als dass man was erfindet. Deshalb werde ich manchmal auch aggressiv gegen Quatsch oder etwas, was zu grob formuliert ist. Und ich verliere mich in der Suche nach Genauigkeit, bei der der Überblick rein durch das auch von Neurath einmal angesprochene Problem schwierig wird, dass man Bücher nur eins nach dem anderen lesen kann.

War dieser Respekt vor Naturwissenschaften immer vorhanden?

Cotten: Ja.

Warum sind Sie dann nicht Naturwissenschaftlerin geworden?

Cotten: Wahrscheinlich, weil ich faul bin. Oder weil ich an Ideenflucht leide, zu viele Ideen andenken mag. Es fällt mir schwer, mich in das Wurmloch eines Themas zu versenken und es gründlich abzuackern. Ich sehe total ein, wie nötig das ist. Aber vermutlich bin ich eben deswegen da, am Rangiergleis sozusagen, gelandet. Ich nehme die Arbeit anderer Leute zur Kenntnis und versuche ein bisschen Fährdienste zu leisten, Informationen, Gerüchte herumzutragen und ein bisschen Unfug zu machen. Ich akzeptiere das Seriöse extrem, aber ich kann es nicht durchführen. Ich wache jeden Tag auf und hab eine leicht andere Perspektive auf die Welt. Kontinuität ist schwierig für mich, weil ich die Unruhe aufgrund der unguten Gegenwart und der Vielfalt der Probleme nicht abschütteln kann.

Dennoch werden Sie das am IFK nun wieder machen müssen – nachdem Sie zehn Jahre ausschließlich literarische und journalistische Texte geschrieben haben. Ist Ihr Schreiben jetzt ein anderes geworden?

Cotten: Ja – aus verschiedenen Gründen. Es hat sich immer schon stark verändert, je nachdem, was mich gerade interessierte. Journalismus war immer ein Krampf, ich kann nicht für den gemeinsamen Nenner schreiben, obwohl ich diese Arbeit auch extrem respektiere, es ist eine super wichtige Kunst. In letzter Zeit spreche ich mehr Japanisch im Alltag und lese und schreibe mehr Englisch, und beides stört den deutschen Sprachbau. Gespenster: reizvolle Formulierungsmöglichkeiten, leider in der falschen Sprache, und doch ist man gekitzelt, ob mans nicht doch hinkriegen könnte, das nachzubauen …

Ist das eine Rückkehr?

Cotten: In meiner Diplomarbeit ging es um Listen der konkreten Poesie, eine konventionelle Abschlussarbeit, die sehr lesbar geschrieben war, glaube ich. Von da aus hab ich mich immer mehr bemüht, extremere Sachen mit der Sprache zu machen, wilder zu schreiben, eine kämpferischere Haltung einzubauen. Das versuche ich eigentlich wieder abzubauen, weil das auch ermüdet. Der Punkt wäre, statt direktem Angriffskampf gegen alles, was man hasst, sich doch Allianzen zu suchen und Terrain zu gewinnen, größer gedachte Strategien zu bedenken.

Was auch dem gemeinen Vorurteil von fernöstlicher Kampfkunst entspräche – lieber Energie sammeln und nicht gleich draufhauen …

Cotten: Es heißt ja auch „Sei wie Wasser!“ – das Ideal also, einen ruhigen Kopf zu bewahren, aber auch die Kraft der Schwerkraft zu nutzen. So kann auch ein schwächerer Kämpfer, eine schwächere Kämpferin einen stärkeren Gegner, eine stärkere Gegnerin mit gezielten Griffen besiegen. Auch gezielte Sabotage ist effektiver als Demonstrieren, dazu muss man die Maschinerie studieren. Pjotr Kropotkin, berühmt als Anarchist, war ja von Beruf her Orograph, das heißt, er studierte topographisch die Flussrichtung der Flüsse.

Was heißt das für Schreiben?

Cotten: Viel für den Satzbau. „Ergonomischer Satzbau“ klingt ziemlich bürostuhlmäßig, aber hilft doch Ideen in Anschlag zu bringen – ein blöder Ausdruck, weil das mit Kriegstechnik zu tun hat. Aber vielleicht doch nicht ganz unpassend, weil man mit einer Pistole auch kleine Reparaturen erledigen kann …

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Ann Cotten bei der Gert-Jonke-Preisverleihung mit dem Kulturreferenten der Stadt Klagenfurt Jürgen Pfeiler und Landeshauptmann Peter Kaiser

Ergonomie heißt immer auch: anpassen an etwas, das es vorher gibt, etwa an den Körper …

Cotten: Stimmt, ich würde mich nicht anmaßen wollen zu behaupten, dass alles anders sein muss, als es ist – auch wenn das meine intuitive Grundhaltung ist (lacht). Die versuche ich aber immer ein bisschen zu dämpfen, so kann man ja nicht durchs Leben gehen. D.h. es gibt Körper und Gegenstände. Die sind, wie sie sind, und es gibt Gründe dafür, und alle haben Modifikationsmöglichkeiten. Das im Überblick und das Ziel im Kopf behaltend gibt es vielleicht einen optimalen Satzbau und ein gutes Design. In der Rhetorik gibt es etwa die grundlegende Idee, dass man Dinge, die chronologisch stattfinden, im Satzbau nicht durcheinanderbringt, sondern eins nach dem anderen dem Leser, der Leserin serviert. Katachresen, Bilder, die freiwillig unfreiwillig komisch sind, Pathos unterwandern, miteinander ungewöhnliche Effekte machen – sowas hab ich früher vielleicht öfter absichtlich gemacht, einfach aus einer Stinkefinger-Haltung heraus. Aber es gibt eben daneben auch die ganz konventionellen Regeln der Ergonomie, wie aus der Tischlerkunst oder dem Dachbau, in welcher Reihenfolge man Balken übereinanderlegt, welche Teile die tragenden sind usw. Wenn aber jetzt selbstlernende Programme auf statistischer Basis ihre Sprachkompetenz erarbeiten, dann werden weder die „gute Tischlerkunst“ noch die „perversen Dekospezialitäten“ erfasst, denn statt Grammatik wird Statistik gelernt. Was sage ich am wahrscheinlichsten? Und ich will immer nur das sagen, was niemandem auch nur einfallen würde.

Wenn Programmen beigebracht wird, wie Literatur funktioniert, geht es letztlich immer um die Reduktion von Komplexität, Worte werden etwa eingeteilt in die Schubladen „schön“ oder „hässlich“ …

Cotten: Komplexität wird oft als Quantität missverstanden, weil wir gern sehr allgemein über Dinge sprechen, und es wird dabei unterschätzt, wie wichtig ist, wie diese Komplexität jeweils genau strukturiert ist. Es werden im Moment immer Netzwerkmodelle vorgelegt, wie Teile vom Gehirn strukturiert sein könnten, um die Ergebnisse von den immer genaueren Hirnstrommessungen zu stützen. Ich habe das Gefühl – aber suche noch -, dass hier die fixe Vorstellung eines Resultats, das für alle Menschen gilt, möglicherweise illusorisch sein könnte. Von der alltäglichen Beobachtung her scheint es mir ziemlich deutlich, dass wir alle auf unterschiedlichen Wegen zu mehr oder weniger kompatiblen Ergebnissen kommen – wenn wir uns auch da treffen, wo neun plus drei zwölf ist. Ich benutze bei dieser Rechnung z.B. farbige Zahlen, und es ist mir nicht klar, ob sie praktische Merkhilfen sind, oder mich ablenken oder stören, aber ganz bestimmt hat nicht jeder und jede auf die gleiche Weise so nen Quatsch verknüpft.

Mit Variabilität tun sich Maschinen offenbar schwerer als Menschen. Was spricht aber dagegen, dass man aufgrund so einer Statistik z.B. sagt: Im 16. Jahrhundert wurden mehr „schöne“ Wörter verwendet als im 17. Jahrhundert, die Gesellschaft ist also negativer geworden …

Cotten: Mit solchen groben Kategorien ist das langweilig. Das reproduktive Verstärken des ohnehin Erfolgreichen erinnert mich an bestimmte Neophyten, die eine irgendwie robustere Art des Daseins haben und mit ihrem Erfolg Spezies übertönen und verdrängen, die auch fragile Balancen in ihren Ökosystemen angewiesen sind. Gleichgültig ob Internet, Hollywoodfilme, Werbung oder Profiling-Methoden der Polizei: Ich würde mir wünschen, dass die Differenzierungsmöglichkeiten subtiler wären als „ist so“, „ist nicht so“, oder „ist 20 Prozent so“. Für Menschen sind das Nicht-Informationen. Wenn 20 Prozent Regen vorhergesagt wird, kann ich nicht 20 Prozent Regenschirm mittnehmen. Mit einer binären Skala kommt man nur zu unbefriedigenden Nicht-Lösungen. Um daraus zu sinnvollen, auch digitalen Handlungen zu kommen, braucht man eine subtilere Grammatik und eine Palette der Figuren der Bedingtheit, der Relationalität, einer genaueren Beschreibung des Möglichen und des Irrealen, die solche nichtfaktischen Räume ermöglichen.

Kommt daher auch der Respekt vor der Quantenphysik, wo es quasi zugleich regnen und nicht regnen kann?

Cotten: Ja, definitiv Respekt. Aber ich lass die Finger davon, weil es zu viele Theorien gibt, die einfach ein „Quantum“ anhängen, und dann geht es gleich in Richtung Esoterik. Jedenfalls gibt es ab dem 20. Jahrhundert diesen Riss im rein linearen und faktischen Denksystem. Er hat das dominante Paradigma des utilitaristischen Sprechens aber kaum gestört, weil das gebaut ist, um zu übertönen. Und, das klingt jetzt wieder klischeehaft, das hat etwas mit der US-Kolonialtradition zu tun. Der typische Algorithmus der Kolonialisierung ist, dass sich das Brutalere durchsetzt, dass sich das Nichtwissen über lokale Spezifitäten durchsetzt.

Wie sind Sie gerade auf die Metapher des „memory foam“ – also „Erinnerungsschaum“ – gekommen?

Cotten: „Memory foam“ ist ein Produktname für viskoelastische Schaumstoffe mit sogenanntem Formgedächtniseffekt. Sie speichern länger, als wir es gewohnt sind, einen Abdruck ihrer lokalen Deplatzierung. Moos, eine dichte Rasendecke, Gebüsch, aber auch Celluliteschenkel bieten solche Eigenschaften. Die NASA hat die beeindruckbaren weichen Flächen mit gewissem Widerstand in den 60er Jahren für die Raumschifffahrt entwickelt und dann für die kommerzielle Nutzung freigegeben.

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Damit versuchen Sie, Kulturgeschichte zu beschreiben, was hat das Bild „memory foam“, was andere nicht haben?

Cotten: Das ist auf keinen Fall eine Wundermetapher (lacht), sondern ein Prototyp, wo ich das erste Mal versuche zu begründen, warum Metaphern nicht zu vermeiden sind, sondern wie man sie als Mittel skeptischen Denkens nutzen kann. Zumeist gelten Metaphern ja maximal als blumige Ausschmückungen einer seriösen Rede. Ich sehe Metaphern hingegen als Mittel des Denkens, das dabei hilft, skeptisch zu denken und mögliche Probleme in einer Konzeptionalisierung zu entdecken. Eine Metapher wie „memory foam“ mit spezifischen physikalischen Eigenschaften kann helfen, eine eher kulturgeschichtlich als naturwissenschaftlich verankerte Metaphorik, die im Alltagssprachgebrauch aber extrem präsent ist, etwas zu verfeinern und auf den neuesten Stand zu bringen.

Wir brauchen also neue Metaphern?

Cotten: Ja, denn das Metaphorische bietet generell die Möglichkeit, Sachen intuitiv zu modellieren und prognostizierbar zu machen, die jenseits von „ist so“ und „ist nicht so“ stattfinden. Wobei metaphorisches Sprechen natürlich die ganze Zeit stattfindet: aber unbewusst und mit toten und in mittelalterlichen Weltbildern verankerten Metaphern. Peter Sloterdijk hat zwar ein ganzes Buch über Schäume geschrieben, das aber v.a. kulturgeschichtlich unterwegs ist und Schaum als etwas Flüchtiges, nicht Seriöses beschreibt. Ein Bild wie Schaum ist sehr anregend, solange man beim Titel bleibt. Liest man dann, wie Sloterdijk es auslegt, ist das assoziativ und ziemlich herrisch herumwertend. Mir würde vorschweben, dass man mit Metaphern auch so arbeiten kann, dass sie transparent, andockbar, wiederverwertbar, kritisierbar, widerlegbar sind. Die Metapher als Vehikel auch mit allem verfügbaren Wissen zu füttern, denn sie ist mnemotechnisch potent. Wenn man einmal gehört hat, wie „memory foam“ funktioniert, dann sieht man „memory foam“ und denkt gleich an alles Mögliche. D.h. es verknüpft mehr die Welt der Wissenschaft, die Welt der Kulturgeschichte und die moralische Urteilsmaschinerie, die wir alle in uns tragen.

Sie schlagen ja neben dem memory foam noch eine weitere Metapher für Kulturgeschichte vor – Viskosität, ein Begriff aus der Chemie, der die Zähflüssigkeit oder Zähigkeit von Flüssigkeiten und Gasen beschreibt. Warum?

Cotten: Beide sind Metaphern, die Dynamiken und Bandbreiten jenseits von „schnell“ und „langsam“ beschreiben. Beide sollen Zwischenbereiche bezeichnen – einerseits gegenüber einer Betonung der Veränderlichkeit schlechthin und andererseits gegenüber einer Starre. Ich finde es wichtig, diese Zwischenbereiche zu denken, sich eine ganze Palette von Schnellheit und Langsamkeit in der Kulturgeschichte vorzustellen. Also: Welche Dinge können dazu führen, dass sich Dinge schneller oder langsamer verändern? Führt z.B. ein geregeltes Sozialsystem zu schnelleren Veränderungen, weil Menschen mobiler sind im Denken und nicht so sehr an ihre Familien gebunden? Oder schaut das nur in einem Bereich so aus und fließt in einem anderen wieder in die Vorsintflut zurück, wenn sich etwa herausstellt, dass die Individuen sich noch ärger mit Gleichgesinnten umgeben als die Blasen, die durch Familien entstanden. Dann kann man nach der Fähigkeit fragen, das Ökonomische und das Ideologische zu trennen. Ausdifferenzierte Bilder helfen, über komplexe Massen und Dynamiken halbwegs komplex nachzudenken, weil es immer schwierig ist, die Brücke von der spezifischen Beschreibung eines Mechanismus zu einer statistischen Masse davon zu schlagen. Wir sind sterbliche, depperte Wesen, die Schwierigkeiten haben, sich vorzustellen, was als Zahlen oder Wahrscheinlichkeiten vorgelegt wird. Wir brauchen Bilder, die Emotionen machen wir schon selber. Und weil wir Bilder sowieso brauchen, ist es besser, bessere, genauere und modernere Bilder zu verwenden.