Eine junge Frau sitzt hinter leeren Bierflaschen
APA/dpa/Alexander Heinl
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Pandemie

Neue Risikogruppen für Alkoholsucht

Die Coronavirus-Pandemie hat fast alle Menschen in Österreich psychisch belastet – manche haben deshalb vermehrt zu Alkohol gegriffen. Die ARGE Suchtvorbeugung hat nun neue Risikogruppen für Alkoholsucht ausgemacht: Menschen in systemerhaltenden Berufen, Arbeitslose, junge Erwachsene und Frauen.

Im ersten Lockdown hat Josef Hader das Problem ironisch überhöht. In einem Video liegt der Kabarettist zwischen leeren Flaschen am Boden und erzählt von seinem durch Trinken strukturierten Tagesablauf. Denn schließlich brauche man in der Quarantäne Struktur.

Der ernste Hintergrund: Während der Pandemie ist die psychische Belastung für fast alle Menschen in Österreich gestiegen – und das dürfte sich auch auf ihren Alkoholkonsum ausgewirkt haben. Diese Woche findet die Dialogwoche Alkohol der ARGE Suchtvorbeugung statt. Sie soll Menschen dazu aufrufen, einmal ein wenig genauer über ihren Alkoholkonsum nachzudenken.

Alkohol in Krisenzeiten

Aus einer repräsentativen Befragung aus dem ersten Lockdown in Österreich weiß man, dass sich der Alkoholkonsum bei den meisten kaum verändert hat: von denen, die angaben Alkohol zu konsumieren, war bei einem Großteil (71 Prozent) der Konsum während des ersten Lockdowns gleich wie zuvor, 13 Prozent haben mehr getrunken, 16 Prozent gaben an, sie weniger getrunken zu haben.

Anlass für diese Konsumreduktion war bei den meisten das Wegfallen von Anlässen – etwa, weil Feiern ausfielen oder Lokale geschlossen hatten. Europaweit deuten Befragungen (ohne Österreich) auch darauf hin, dass der Konsum relativ gleichgeblieben ist. Es gibt Ergebnisse, dass die Konsummenge und das Rauschtrinken zurückgegangen ist – aber sich die Frequenz erhöht hat. Die Menschen haben also angegeben, öfter mal zum Glas Wein zu greifen, dafür weniger auf einmal zu trinken.

Zuhause trinken statt im Lokal

„Wir wissen aus Bewegungsdaten aus dem ersten Lockdown, dass die Menschen sich erstens sehr daran gehalten haben, und dass zweitens aufgrund des Wegfallens von Lokalen und auch der Möglichkeit zu feiern natürlich auch der Alkoholkonsum zurückgegangen ist“, sagt Ewald Lochner, Geschäftsführer der Sucht- und Drogenkoordination Wien. „Was wir NICHT wissen, ist, wie viele Menschen schon zu dem Zeitpunkt beziehungsweise in Folge dann der zweiten, dritten Lockdowns einfach zuhause Alkohol konsumiert haben.“

Denn Alkohol war ja weiterhin uneingeschränkt über Supermärkte verfügbar. Suchtexpertinnen und -experten sind nicht glücklich mit dieser Entwicklung, der Alkoholkonsum zu Hause könne nämlich gefährlicher sein als der im Lokal, sagt Ewald Lochner: „Wenn Menschen in einem Lokal oder mit Freunden bei einer Feier sind, gibt’s immer einen Faktor der sozialen Kontrolle, weil dort andere Menschen sind. Das fällt zu Hause weg.“

Neue Risikogruppen

Die Expertinnen und Experten der Suchtvorbeugung haben im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie außerdem neue Risikogruppen für problematischen Alkoholkonsum ausgemacht: Menschen, die in systemerhaltenden Berufen und in der Pflege arbeiten, sowie Menschen, die ihren Job verloren haben. Außerdem: junge Erwachsene, die sich besonders große Sorgen über ihre Zukunft machen, weil Studieren oder Ausbildungen wegen der Maßnahmen stark eingeschränkt waren; und Frauen, die mit Kinderbetreuung und Home-Office die Auswirkungen der Lockdowns besonders zu spüren bekommen haben.

Ewald Lochner: „Das heißt wenn der Stresspegel in der Zielgruppe Frauen so erheblich steigt, liegt die Vermutung sehr nahe, dass manche von den Frauen zum Abbau von Stress dann auch zu Alkohol greifen.“

Mehr Menschen in Behandlung

Zum zweiten und dritten Lockdown laufen gerade noch Befragungen, verlässliche Daten gibt es ab Jahresmitte. „Es ist momentan ein bisschen ein Interpretieren. Was uns vorliegt, zeigt eher, dass vermehrt Alkohol in den eigenen vier Wänden konsumiert worden ist“, sagt Lochner. „Und es wird die Frage sein, wie wir Menschen, die daraus ein problematisches Konsummuster entwickelt haben, in Behandlung bringen. Denn wir wissen – auch pandemieunabhängig – dass Menschen, die eine Alkoholproblematik entwickeln, schwierig in eine Behandlung zu bekommen sind.“

Ewald Lochner rechnet damit, dass Behandlungen von problematischem Trinkverhalten im nächsten Jahr um zehn bis 15 Prozent ansteigen werden, und dass der Bedarf nach Suchttherapie auch die Jahre danach noch höher sein wird, als vor der Pandemie.

Erste Schritte zur Selbsthilfe online

Wer sich nun Sorgen macht, selbst zu viel Alkohol zu trinken oder ein Problem zu haben: Hilfe und Infos gibt es online auf der Seite der Dialogwoche Alkohol. Dort gibt es auch ein Online-Selbsthilfe-Tool namens Alkcoach, mit dem man in einem ersten Schritt den eigenen Konsum überprüfen und gegebenenfalls reduzieren kann.

Den Alkcoach gibt es seit Mai 2019 und es gibt erste Daten dazu: Um die 700 Menschen sind registriert, sagt Ewald Lochner. Der Altersdurchschnitt ist um die 44 Jahre und 40 Prozent der Angemeldeten sind weiblich. „Das freut uns, weil normalerweise sind wir eher bei 25 Prozent weiblich und 75 Prozent männlich. Das heißt wir dürften eine Zielgruppe erreichen, die wir sonst nicht erreichen.“