Eisberge im Westen Grönlands
AFP – STEEN ULRIK JOHANNESSEN
AFP – STEEN ULRIK JOHANNESSEN
Studie

Grönland-Eisschmelze bald nicht mehr zu stoppen

In Teilen von Grönlands Eisschild dürfte laut einer neuen Studie bald ein kritischer Punkt überschritten werden, ab dem ein Abschmelzen kaum zu stoppen wäre. Der gesamte Eisschild könnte dann bis zum Jahr 3000 abschmelzen.

Wegen der steigenden Temperaturen habe die Destabilisierung zentral-westlicher Gebiete bereits begonnen, teilte das deutsche Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) am Montag mit. Das Abschmelzen könnte dann auch bei nur noch begrenzter Erderwärmung fortschreiten.

„Wir haben Belege dafür gefunden, dass sich der zentral-westliche Teil des Grönland-Eisschildes destabilisiert hat“, erklärte dazu der PIK-Wissenschaftler Niklas Boers. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es in der Zukunft zu einem deutlich verstärkten Abschmelzen kommen wird – was sehr besorgniserregend ist.“

Rückkopplungseffekt beim Schmelzen

Ein Schlüsselmechanismus, der die Stabilität des grönländischen Eisschildes bestimmt, ist ein Rückkopplungsmechanismus: Ein Temperaturanstieg führt zum Schmelzen, wodurch sich die Höhe des Eisschildes verringert. Auf einem Berg ist es oben kalt und unten weniger kalt. Wenn also die Oberfläche des Eisschildes schmilzt, sinkt es in die tiefere, wärmere Umgebungsluft – was wiederum zu beschleunigtem Schmelzen und zusätzlichem Höhenverlust führt.

„Dieser Mechanismus ist seit Langem bekannt, und er ist einer der Hauptverdächtigen für die festgestellte Destabilisierung der zentral-westlichen Teile des grönländischen Eisschildes. Aber wir können nicht ausschließen, dass auch andere Rückkopplungen eine wichtige Rolle spielen“, erklärt Niklas Boers. Dazu gehöre etwa die Albedo, also die geringer werdende Rückstrahlwirkung der schrumpfenden Eismassen.

Beunruhigende Frühwarnzeichen

Für ihre Studie zogen Niklas Boers und sein Koautor Martin Rypdal von der Arctic University of Norway Meeresspiegeltemperaturen von Wetterstationen, Schmelzintensitäten aus Eisbohrkernen in Zentralwestgrönland sowie entsprechende Computermodell-Simulationen heran. Sie fanden in den Schwankungen der Eisschildhöhen beunruhigende Frühwarnzeichen, die darauf hindeuten, dass ein Kippen dieses Teils des Eisschildes bevorstehen könnte.

„Die Warnzeichen werden durch charakteristische Veränderungen in der Dynamik des grönländischen Eisschildes verursacht, die widerspiegeln, wie gut sich der Eisschild gegen Störungen wehren und sich von ihnen erholen kann“, erklärt Rypdal.

Grönlands Eisschild, 2016 aus einem NASA-Flugzeug aufgenommen
NASA
Grönlands Eisschild, 2016 aus einem NASA-Flugzeug aufgenommen

Nach bisherigen Modellergebnissen ist laut PIK das Abschmelzen des Grönland-Eisschildes ab einer kritischen Schwelle der globalen Mitteltemperatur von 0,8 bis 3,2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau unvermeidlich. Sobald diese Schwelle überschritten wird, könnte der gesamte Eisschild über Hunderte oder Tausende von Jahren vollständig abschmelzen. Das könnte zu einem globalen Meeresspiegelanstieg von mehr als sieben Metern und einem Zusammenbruch der atlantischen meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC) führen, die für die relative Wärme in Europa und Nordamerika verantwortlich ist.

Neben mehreren Rückkopplungen, die das Schmelzen beschleunigen, gibt es laut den Forschern auch solche, die den grönländischen Eisschild auf mittleren Höhen stabilisieren könnten, vor allem durch zunehmende Akkumulation. „Wir müssen dringend das Zusammenspiel der verschiedenen positiven und negativen Rückkopplungsmechanismen besser verstehen, die die aktuelle Stabilität und die zukünftige Entwicklung des Eisschildes bestimmen“, sagt Niklas Boers.

Auswirkungen auf gesamten Eisschild noch unklar

Die Studie legt nahe, dass sich zumindest der zentral-westliche Teil des grönländischen Eisschildes einem Kipppunkt nähert. Wie sich das auf den Eisschild als Ganzes auswirkt, bleibt laut PIK unklar: „Angesichts der Anzeichen, die wir in Eiskernen aus dem zentral-westlichen Teil entdecken, müssen wir mehr Beobachtungen sammeln und unser Verständnis der Mechanismen verbessern, damit wir verlässlichere Schätzungen über die zukünftige Entwicklung des Grönland-Eisschildes machen können“, sagt Martin Rypdal.

„Unabhängig vom genauen Zusammenspiel der verschiedenen Rückkopplungen müssten wir die Temperaturen deutlich unter das vorindustrielle Niveau absenken, um wieder die Eisschildhöhe der letzten Jahrhunderte zu erreichen“, ergänzt Niklas Boers. „Praktisch wird also der gegenwärtige und in naher Zukunft zu erwartende Massenverlust des Eises weitgehend irreversibel sein. Deshalb ist es höchste Zeit, dass wir die Treibhausgasemissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe schnell und deutlich reduzieren und den Eisschild und unser Klima wieder stabilisieren.“