Rolltreppe einer U-Bahnstation
APA/dpa/Maja Hitij
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Mikrobiologie

Jede Stadt hat eigenen Mikroben-Fingerabdruck

Sitzbänke, Haltegriffe und Geländer in U-Bahnen: Sie alle wimmeln von Bakterien, Viren und anderen Mikroorganismen. Forscherinnen und Forscher haben sie drei Jahre lang rund um die Welt gesammelt und nun verglichen. Jede Stadt, so das Resultat, hat ihren eigenen mikrobiellen Fingerabdruck.

Ähnlich wie bei Menschen gibt es zwar so etwas wie einen mikrobiellen Kern, der bei allen gleich ist. Die Unterschiede der Mikroorganismen würden aber überwiegen, wie ein Team um Christopher Masen vom Weill Cornell Medical Collage in New York am Donnerstag in der Fachzeitschrift „Cell“ schreibt.

Probensammlung von Wien bis New York

Die zahllosen Mikroben im und am menschlichen Körper sind für unsere Gesundheit von großer Bedeutung, denn sie schützen etwa vor krankmachenden Keimen und anderen schädlichen Umwelteinflüssen. Die Vielfalt der humanen Mikroorganismen ist allerdings zum Beispiel durch die Ernährung und äußere Einflüsse ständig im Wandel – ein komplett identes Mikrobiom zweier Menschen gibt es daher nicht.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 27.5., 13:55 Uhr.

Ähnlich sieht das auch bei Städten aus, wie die nach Eigenangaben erste „metagenomische Studie zum urbanen Mikrobiom“ zeigt. Dafür sammelten die Forscherinnen und Forscher genetisches Material direkt aus Umweltproben. Drei Jahre lang entnahmen sie insgesamt 4.728 Proben von Sitzbänken, Verkaufsschaltern, Haltegriffen etc. in den U-Bahnen von 60 Städten: von Wien bis New York, von Bogata bis Seoul, von Kiev bis Singapur.

31 Arten verbinden 60 Städte

Genanalysen dieser Proben im Labor zeigten einen „Mikrobenkern“: Er besteht aus 31 Arten und kommt in über 97 Prozent der Proben vor. „Ungefähr die Hälfte dieser 31 Arten hängen mit den in den Städten lebenden Menschen zusammen – also stammen etwa von deren Hautzellen. Die andere Hälfte hängt eher von Umweltfaktoren ab, wie etwa dem vorherrschenden Gestein oder den Wasserverhältnissen“, erklärt die Bioinformatikerin und Studien-Mitautorin Alexandra Graf von der FH Campus Wien gegenüber science.ORF.at.

Dieser Kern ist aber nur ein kleiner Teil der generell in den Städten vorgefundenen Mikroben. Über 4.000 Funde konnten die Forscher bekannten Arten zuordnen, rund 1.000 davon waren relativ häufig rund um den Globus verteilt. Dazu fanden sie aber auch fast 11.000 Viren, 1.300 Bakterien, zwei Archaebakterien und 800.000 Genschnipsel, die noch in keiner Datenbank gelistet waren.

U-Bahn in Shanghai
AFP – HECTOR RETAMAL

Das Mikrobiom als Fingerabdruck

Viel verbreiteter als Gemeinsamkeiten bei den Mikroorganismen sind also Unterschiede – Städte weisen durch ihr Mikrobiom eine Art mikrobischen Fingerabdruck auf. Studien-Autor Christopher Masen behauptet: „Wenn Sie mir Ihren Schuh geben, könnte ich Ihnen mit etwa 90-prozentiger Genauigkeit sagen, aus welcher Stadt und aus welchem Teil der Welt Sie kommen.“

Für Wien gelte diese Aussage zum aktuellen Zeitpunkt aber noch nicht, so Graf. Die Bioinformatikerin erklärt: „Aus den 4.728 gesammelten Proben stammen bei der aktuellen Studie nur 16 aus Wien. Um eine generelle Aussage über das Wiener Mikrobiom machen zu können und wie es sich von anderen Städten unterscheidet, sind das noch zu wenige Informationen.“ Die Forschung des internationalen Wissenschaftsteams sei aber noch nicht abgeschlossen. In den kommenden Jahren könne man mit weiteren Datensammlungen das Wiener Mikrobiom genauer bestimmen, ist Graf zuversichtlich.

Frühzeitiges Erkennen von Krankheitsausbrüchen

Die Erkenntnisse aus der Studie könnten in Zukunft in mehreren Bereichen Anwendung finden. So könnten mit dem Beobachten urbaner Mikrobiome etwa Ausbrüche sowohl bekannter als auch unbekannter Krankheiten und Umweltveränderungen frühzeitig erkannt werden. Außerdem könnte zum Beispiel die Anzahl antibiotikaresistenter Krankheitserreger in urbanen Umgebungen genauer erhoben werden.