Physiker Ferenc Krausz an der Östrerreichischen Akademie der Wissenschaften
Österreichische Akademie der Wissenschaften/APA-Fotoservice/Hörmandinger
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Laser-Physik

Der Elektronenjäger

Ferenc Krausz hat sich mit seinen Laser-Experimenten in die Region der Attosekunden vorgearbeitet – und damit einen alten Traum der Wissenschaft verwirklicht: die erste direkte Beobachtung von Elektronen. Was man mit ultrakurzen Laserpulsen sonst noch tun kann, verrät der ungarisch-österreichische Physiker im ORF-Interview.

Eine Attosekunde ist der trillionste Teil einer Sekunde. Oder der milliardste milliardste Teil einer Sekunde. Wirklich vorstellbar ist das nicht, nehmen wir etwa den Flügelschlag einer Fliege: Der spielt sich im Bereich von tausendstel Sekunden ab, ist also immer noch um den Faktor Millionen Milliarden von jener Region entfernt, in der Ferenc Krausz seine Experimente durchführt. Vielleicht erschließt sich die geradezu absurde Winzigkeit mit diesem Vergleich: Würde man eine Sekunde so weit schrumpfen, sodass sie nur mehr 100 Attosekunden dauerte, dann wäre das Universum gerade mal eine Minute alt.

20 Jahre (ohne dimensionale Schrumpfung) ist es jedenfalls her, dass Krausz in einem Kellerlabor der TU Wien das erste Mal in den Bereich der Attosekunden vorgedrungen ist. Seine Pionierexperimente mit ultrakurzen Laserpulsen haben ihm den Spitznamen „Paparazzo der Elektronen“ sowie einen Eintrag im Buch der Rekorde eingebracht. Und, fachlich wohl wertvoller, eine Erwähnung in der vom Fachblatt „Science“ veröffentlichten Liste der wissenschaftlichen Durchbrüche des Jahres 2002.

Die Ausreizung des physikalisch Machbaren beschäftigt Krausz heute noch. Mittlerweile arbeitet der in Mór, Ungarn, geborene und in München forschende Quantenphysiker auch an Anwendungen, die direkt in den Alltag greifen. Seine Vision: Die Attosekunden-Technologie könnte die heute üblichen Computerchips bis zu eine Million Mal schneller machen. Und sie könnte dabei helfen, Krankheiten per Laser-Diagnose frühzeitig zu erkennen und erst gar nicht entstehen zu lassen.

Physiker Ferenc Krausz im ORF-Interview an der Akademie der Wissenschaften
Österreichische Akademie der Wissenschaften/APA-Fotoservice/Hörmandinger

science.ORF.at: Herr Krausz, wie kamen Sie zu Ihrem wissenschaftlichen Lebensthema, den feinsten Abstufungen der Zeit?

Das war – wie so oft im Leben – Zufall. Ich habe Elektrotechnik an der TU Budapest und Physik an der Eötvös-Loránd-Universität studiert. Irgendwann war es dann soweit, dass ich eine Diplomarbeit schreiben musste. Zu dieser Zeit wurde ich auf ein ausgeschriebenes Thema zur Messung und Erzeugung ultrakurzer Laserpulse aufmerksam. Das hat mich dermaßen fasziniert, dass ich seither bei diesem Thema geblieben bin.

Zur Person

Ferenc Krausz ist Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München. Letzte Woche hielt er an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften den Vortrag: „Elektronen fürs Leben"

Haben Sie noch Zeit, im Labor selbst Hand anzulegen?

Ferenc Krausz: Nein, aber das ist vermutlich auch besser so. Meine jungen Kollegen können das ungleich besser als ich das jemals konnte und erst recht jetzt könnte. Meine Rolle besteht darin, zu überlegen: Welchen Fragen wollen wir nachgehen? Und mit welchen Methoden? Damit fängt Forschung ja immer an. Und neben solchen strategischen Überlegungen braucht es natürlich auch viele Gespräche mit den Mitarbeitern. Unsere Forschung ist ein Produkt von vielen Diskussionsrunden.

Sie gehören zu jenen wenigen Wissenschaftlern, die über einen Eintrag in den „Guinness World Records“ verfügen. Wie kam es dazu?

Krausz: Dafür mussten wir nichts Besonderes tun. Wir haben ein Lichtpulse mit einer Dauer unter 100 Attosekunden hergestellt und die Ergebnisse 2002 im Fachblatt „Science“ veröffentlicht. Wenige Wochen später kam eine „Guinness“-Urkunde per Post – mit einem sehr netten Brief des Chefredakteurs: Er schrieb uns, das sei sein Lieblingsrekord. Ich nehme an, das schreibt er allen Rekordinhabern, aber es war trotzdem sehr erfreulich.

Warum ist es so schwierig, in den Bereich der Attosekunden vorzudringen?

Krausz: Ich weiß gar nicht, ob das Wort „schwierig“ so zutreffend ist in diesem Zusammenhang. Wichtig ist, dass man bereit ist, Hürden zu überwinden und sich von der Zielsetzung nicht abbringen lässt. Denn Rückschläge sind eigentlich unvermeidbar. Man muss beharrlich dranbleiben. Das war der Schlüssel zu diesem Durchbruch – und ich denke, das ist auch nicht spezifisch für die Attosekundenphysik, sondern sicherlich auch in anderen Bereichen so.

Welche Hürden mussten Sie überwinden?

Krausz: Das Ziel lautet: Wir wollen Licht kurz machen, also ultrakurze Lichtblitze erzeugen. Wenn wir uns zum Beispiel sichtbares Licht ansehen, dann stellen wir fest, dass seine Schwingungen im Bereich von Femtosekunden liegen, das entspricht tausend Attosekunden. Damit ist offensichtlich: Sichtbares Licht ist dafür nicht geeignet, weil nicht einmal eine einzige Schwingung in das Zeitintervall des kurzen Blitzes passt. Wir benötigen also Licht, das sehr viel schneller schwingt, also ultraviolettes und extrem ultraviolettes Licht. Das ist ein Spektralbereich, in dem die Werkzeuge zur Manipulation des Lichts – denken Sie zum Beispiel an die Lasertechnologie – damals nicht so entwickelt waren. Die große Herausforderung war also, Techniken, die wir schon bei sichtbarem Licht und Infrarot gut beherrscht haben, auch bei sehr viel schneller schwingendem Licht umzusetzen.

Wozu braucht man solche Lichtpulse überhaupt?

Krausz: In erste Linie dafür, um extrem schnellen Vorgängen in der Natur auf die Spur zu kommen. Zum Beispiel: Wie bewegen sich Atome, damit Moleküle entstehen können? Wie brechen chemische Bindungen auf? Für die Beantwortung solcher Fragen hat Ahmed Zewail vor 20 Jahren den Chemienobelpreis erhalten, da er solche Bewegungen mit Hilfe von Femtosekundenpulsen erstmals abblitzen und rekonstruieren konnte. Elektronen bewegen sich allerdings ca. tausend Mal schneller als Atome. Um die zu beobachten, benötigen wir die Attosekundenblitze.

Gibt es in der Natur noch schnellere Bewegungen? Und könnte man die auch beobachten?

Krausz: Die Vorgänge innerhalb des Atomkerns sind noch einmal mindestens tausend Mal schneller als jene der Elektronenhülle. Dafür bräuchten wir sogenannte Zeptosekundenpulse. Ich denke, dieser Bereich wäre grundsätzlich erreichbar, Konzepte dafür gibt es bereits. Was danach passieren könnte, ist sehr schwer vorhersehbar.

Künstlerische Darstellung: Attosekundenblitze
Greg Stewart/SLAC National Accelerator Laboratory
Die Lichtpulse im Labor werden immer kürzer. Wo liegt das Limit? Beziehungsweise: Gibt es überhaupt ein Limit?

Inwiefern hat sich das Wissen über die Eigenschaften von Elektronen durch Ihre Messungen verändert?

Krausz: Das ist eine sehr gute Frage und ich kann Ihnen vermutlich nur eine enttäuschende Frage liefern. Die Geburt der Technik datiert ja mit dem Jahr 2001, als in einem Kellerlabor der TU Wien die ersten Attosekundenpulse erzeugt wurden. Die ersten zehn Jahre danach haben wir uns Experimenten gewidmet, bei denen wir ganz genau wussten, was rauskommen muss. Das war damals eine absolut neue Messmethode und wir mussten zunächst einmal das Vertrauen entwickeln, um sagen zu können: Ja, diese Technik funktioniert. Man kann nicht gleichzeitig eine neue Technik validieren und diese dazu verwenden, um neue Fragestellungen zu beantworten. Der erste Teil der Arbeit hat wie gesagt etwa zehn Jahre gedauert, aus dem Elfenbeinturm herausgewagt haben wir uns erst ab 2010: also Fragen gestellt, bei denen die Antwort noch nicht bekannt war.

Zum Beispiel?

Krausz: Etwa: Wie geht es weiter mit der modernen Elektronik? Wir wissen, dass Computer umso leistungsstärker sind, je schneller wir Strom ein- und ausschalten können. Das geht heutzutage etwa zehn Mal pro Nanosekunde, also pro Milliardstel Sekunde. Im Labor geht das auch sehr viel schneller, aber das kriegt man in den digitalen Schaltkreisen, die in Ihrem Handy oder Computer stecken, nicht hin. Warum? Weil zu viel Wärme entsteht. Wenn man noch schneller schaltet, verraucht der Chip. Also muss man sich fragen: Wie kommen wir über diese Schwelle? Kann man Elektronen in Festkörpern bewegen, ohne dass dabei Wärme entsteht? Und kann man mit dieser Methode auch Chips bauen? Das sind Fragen, die mittlerweile viele Forschungsgruppen beschäftigen – und da kann die Attosekundenphysik sicher ganz große Beiträge leisten.

Ein Femtosekundentakt in Chips wäre möglich?

Krausz: Wir haben in den letzten Jahren ein paar grundlegende Arbeiten veröffentlicht, die zeigen: Es gibt keine prinzipiellen Hindernisse. Man könnte den jetzt üblichen Standard von Gigabit pro Sekunde hunderttausendfach oder sogar millionenfach beschleunigen, das ist experimentell bewiesen. Zur industriellen Umsetzung in Mikrochips ist es natürlich noch ein weiter Weg.

Mit welchem Tempo bewegt sich ein Elektron?

Krausz: Nachdem uns die Naturgesetze verbieten, Geschwindigkeit und Ort des Elektrons gleichzeitig zu bestimmen, sollte man die Frage umformulieren zu: Wie schnell ändert ein Elektron seinen Quantenzustand? Zum Beispiel beim Phänomen der Elektronenmigration, da bewegt sich ein Elektron von einem Ende des Moleküls zum anderen Ende und wieder zurück. Das passiert im Zeitraum von ein einigen Hundert bis 1.000 Attosekunden über eine Distanz von wenigen Nanometern. Umgerechnet sind das ungefähr zehn Millionen Kilometer pro Stunde.

Anwendungen der Attosekundenblitze wären auch in der Medizin denkbar – was hat es damit auf sich?

Krausz: Das ist seit einigen Jahren unser Forschungsschwerpunkt. Die Attosekundenpulse sind nicht nur dazu gut, um Elektronen abzublitzen und deren Bewegungen festzuhalten. Sie eignen sich auch, um Lichtwellen abzutasten. Damit haben wir Zugang zu kleinsten Veränderungen in der molekularen Zusammensetzung von biologischen Proben, sprich: Blut. Blut beinhaltet tausende Moleküle, von denen die derzeitige Labormedizin nur eine verschwindend kleine Minderheit als Marker für Krankheiten nutzt. In die Biomarkerforschung investieren auch Pharmafirmen Milliarden – da steht also eine auch eine große Industrie dahinter. Allerdings wird es auch auf diesem Weg sehr lange dauern, bis man alle Biomarker gefunden hat, die für eine Krankheit von Interesse sein könnten. Hier könnte die Lasermesstechnik Abhilfe schaffen: Wir regen Moleküle mit einem sehr kurzen Laserblitz an, dadurch kommen sie in Schwingung und senden Infrarotlicht aus, das wir wiederum mit unseren schnellen Messtechniken sehr empfindlich registrieren können. Auf diese Weise können wir kleinste Veränderungen im Blutserum nachweisen, ohne einzelne Marker ausfindig machen zu müssen. Wir messen sozusagen ein Gesamtsignal – und dieses Signal verändert sich, wenn eine Krankheit im Körper auftritt.

Quasi eine Infrarotsignatur der Krankheit?

Krausz: Genau, natürlich müssen wir noch erforschen, wie sich das Signal verändert und natürlich ist das auch noch viel Arbeit. Aber wenn man das eines Tages weiß, dann zeigt sich jede Krankheit durch ein bestimmtes Muster. Dann können wir Krankheiten nicht nur erkennen, sondern – was noch viel wichtiger ist: erst gar nicht entstehen lassen. Die Muster sehen übrigens für jede Person unterschiedlich aus, weshalb wir das den Fingerabdruck des Blutes nennen. Wenn wir den Fingerabdruck in der Zeit verfolgen, dann sehen wir irgendwann: Hoppla, das Muster tritt aus dem Normalbereich, da ist etwas! Und da der Normalbereich für Einzelpersonen sehr viel schmäler ist als in der Gesamtpopulation, kann man sehr viel früher erkennen, ob eine Krankheit im Entstehen ist.

Werfen wir noch einen Blick auf den internationalen Wettbewerb: Im Fach Physik – und nicht nur dort – hat China in den letzten Jahren extrem stark aufgeholt. Wie schätzen Sie die Lage ein? Ist China die wissenschaftliche Weltmacht der Zukunft?

Krausz: Das ist absolut anzunehmen. Mit welchen Ressourcen dort Forschungsinstitute und Infrastrukturen fast schon über Nacht aus dem Boden gestampft werden, ist wirklich atemberaubend. Aus Gesprächen mit Kollegen aus China weiß ich: Das einzige Problem, das die Chinesen derzeit haben, ist, die besten Köpfe wieder ins Land zu holen. Viele chinesische Wissenschaftler arbeiten ja außerhalb von China – auch dafür wurde bereits ein Programm aufgesetzt: Spitzenwissenschaftlern werden in China mittlerweile Gehälter gezahlt, die man in der westlichen Welt nur aus dem Fußball kennt. China verfolgt mit enormer Konsequenz – ich würde fast schon sagen: mit Aggressivität – die Strategie: Alles, was aufgebaut wird, muss Weltklasseniveau erreichen. Da kann sich die westliche Welt einiges abschauen.

Liegt es nur am Geld und an den Ressourcen?

Krausz: Ich spekuliere hier, aber ich kann mir vorstellen, dass die chinesische Führung clever genug ist, um zu erkennen: Wenn China mit den größten Mächten der Welt mithalten oder sie sogar überholen will, muss das Land auch wissenschaftlich-technologisch die Nummer eins werden. Anders wird es nicht gehen.

Haben Sie schon ein Angebot mit Fußballergehalt erhalten?

Krausz: Teilweise schon, aber noch nicht aus China. Ich muss allerdings sagen, dass ich mich in meinem Umfeld so wohl wühle, dass mir das mehr wert ist, als ein deutlich höheres Gehalt. Ich kann meiner Familie einen angenehmen Lebensstandard sichern. Lebensqualität bedeutet für mich Spaß am Job. Das habe ich in München.