Vogelperspektive: Wal an der Ozeanoberfläche
Durban and Fearnbach
Durban and Fearnbach
Stress

Die Wale schrumpfen

Unzählige Wale ersticken jedes Jahr qualvoll in Fischernetzen. Auch wenn sich die Tiere wieder aus den Netzen befreien können, hat der Kampf ums Überleben negative Auswirkungen auf ihre Entwicklung – laut einer neuen Studie werden sie immer kleiner.

Der vom Aussterben bedrohte atlantische Nordkaper, ein Wal aus der Gattung der Glattwale, wird immer kleiner. Zu diesem Ergebnis kommen Forscherinnen und Forscher um Joshua Stewart von der National Oceanic and Atmospheric Administration, der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten.

Stewart erklärt: „Ein heute geborener atlantischer Nordkaper wächst auf eine Gesamtlänge, die etwa einen Meter kürzer ist als bei Artgenossen, die im Jahr 1980 geboren wurden.“ Im Durchschnitt seien heutige atlantische Nordkaper rund sieben Prozent kleiner als noch vor etwa 40 Jahren.

Aus der Luft vermessen

In ihrer im Fachblatt „Current Biology“ erschienen Studie haben die Forscher über eine Zeitspanne von 20 Jahren insgesamt 129 atlantische Nordkaper zum Teil mehrfach vermessen. Möglich war das durch Aufnahmen von bemannten Flugzeugen und ferngesteuerten Drohnen. Die Wale bekamen sozusagen einen Gesundheits-Check, ohne dass sie es selbst bemerkten. Das Alter der vermessenen Tiere reichte dabei von unter einem Jahr bis 37 Jahre.

Mit den gesammelten Daten wollten Stewart und seine Kollegen herausfinden, wie sich Stress-Faktoren – etwa das Verheddern in Fischernetzen – auf die Wale und deren Körper auswirken. Elf der untersuchten Tiere hatten sogar noch Netze an ihren Körpern hängen. Manche dieser Tiere hatten bis zu 334 Tage mit dem Fangzubehör zu kämpfen.

Stress hemmt die Entwicklung

„Das Verheddern der atlantischen Nordkaper in Fischernetzen ist leider ziemlich verbreitet und hat in den letzten Jahrzehnten generell zugenommen“, sagt Stewart. Für den Ökologen besteht ein klarer Zusammenhang zwischen dem Stress, dem die Tiere immer öfter ausgesetzt sind, und deren abnehmender Größe. Ein Wal, an dem Fischernetze hängen, benötige nämlich viel mehr Energie für alltägliche Aktivitäten. „Diese Energie könnten die Tiere sonst in ihr Wachstum oder in die Reproduktion stecken.“

Die geringere Gesamtlänge führe auch dazu, dass das Verfangen in den Netzen immer gefährlicher für die atlantischen Nordkaper werde. Stewart: „Je kleiner die Tiere sind, desto weniger Energiereserven haben sie, um sich aus den Netzen zu befreien und länger dauernde Nahrungsknappheit zu ertragen.“ Laut dem Ökologen ist es wahrscheinlich, dass solche Stressoren Auswirkungen auf den Fortbestand der Tierart haben.

Was man dagegen tun kann

Die Forscher glauben, dass die stress-basierten Folgen der Fischerei auch weitere Walarten auf der ganzen Welt betreffen. Stewart: „Weil es von den atlantischen Nordkaper ein sehr detailliertes Datenset über deren Alter, Größe und bisherige Probleme mit Fischernetzen gibt, konnten wir direkt untersuchen, wie sich diese Ereignisse auf deren Wachstum auswirken. Ich glaube aber, dass viele andere Spezies davon ähnlich stark betroffen sind.“

Aufbauend auf den Studienergebnissen fordern die Forscher eine strengere Reglementierung, um die negativen Auswirkungen von Fischernetzen und Fischereibooten auf die Walpopulationen weltweit zu reduzieren. Dafür wäre es laut der Meeresbiologin und Co-Autorin der Studie, Amy Knowlton, nötig, zum Beispiel die Schiffgeschwindigkeiten generell zu reduzieren oder etwas leichter reißende Netze zu benutzen.

Stewart und die an der Studie beteiligten Wissenschaftler werden auch in Zukunft die Population der atlantischen Nordkaper im Auge behalten. In weiterführenden Studien möchte man unter anderem untersuchen, ob sich die kürzere Gesamtlänge der Tiere tatsächlich auf die Anzahl des gezeugten Nachwuchses auswirkt.