Goldbergkees
ZAMG, Webcam
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Gastbeitrag

Gletscher hatten einen guten Mai

Für die alpinen Gletscher ist das heurige Frühjahr sehr gut gewesen: Wie seit Langem nicht gehen sie mit einer schützenden Schneedecke in den beginnenden Sommer. Das lag vor allem am kühlen Mai, wie Andrea Fischer und Hans Wiesenegger im aktuellen Gletschertagebuch berichten.

Der kühle Frühling ist sehr erfreulich für die Gletscher! Über 20 Jahre haben die deutlich zu warmen Frühlingsmonate die Schneedecke vorzeitig dahinschmelzen lassen. Heuer endlich wird der Winterschnee konserviert und kann das Eis vor der Strahlung in den warmen Sommermonaten länger schützen. Ende Mai 2021 präsentieren sich nicht nur die Gletscher, sondern auch ihre Umgebung noch tiefwinterlich, der Schnee bedeckt auch die Gletschervorfelder bis über die Moränen von 1850 hinaus, die die damaligen Gletscherränder anzeigen. Heuer kann man sich besser vorstellen, wie die Sommer am Ende der kleinen Eiszeit waren – und mit welchen Schnee- und Witterungsbedingungen die frühen Alpinisten zu kämpfen hatten.

Ende Mai 2021 liegt auf den Gletschern (links der Jamtalferner, rechts das Stubacher Sonnblickkees) noch mehr Schnee als in den Vorjahren, wenn auch die Winterbilanzen größtenteils durchschnittlich waren, hat es im Mai regelmäßig geschneit
Land Tirol, www.foto-webcam.eu

Ende Mai 2021 liegt auf den Gletschern (links der Jamtalferner, rechts das Stubacher Sonnblickkees) noch mehr Schnee als in den Vorjahren. Wenn auch die Winterbilanzen größtenteils durchschnittlich waren, hat es im Mai regelmäßig geschneit.

Verlauf von Schneehöhe und Lufttemperatur im kühlen Frühjahr 2021 im Umfeld der Rudolfshütte
Land Salzburg Lawinenwarndienst
Verlauf von Schneehöhe und Lufttemperatur im kühlen Frühjahr 2021 im Umfeld der Rudofshütte

Der kühle Frühling brachte Schnee – was nützt es?

Alexander Orlik von der ZAMG war ein Frühling wie heuer vor 1990 normal. Als GletscherforscherIn denkt man hier natürlich gleich an die damaligen Gletschervorstöße. Für diese braucht es allerdings auch und vor allem zu kühle Sommer – und deren Eintreten ist sehr unwahrscheinlich.

Gleich kühl wie 2021 war es nach Alexander Orlik zuletzt 1996 und 1991, sogar noch kühler 1987. Die Massenbilanzen in diesen Jahren waren zumindest nicht extrem negativ, das ist die gute Nachricht. Die für die Gletscher erfreuliche, für die meisten von uns schlechte Nachricht ist, dass entgegen mancher Bauernregeln auf einen zu kühlen Frühling durchaus ein zu kühler Sommer folgen kann. Dies ist zwar unter den derzeitigen Klimabedingungen eher die Ausnahme als die Regel, aber in den genannten drei Jahren mit ebenso kühlem Frühling war auch der Sommer unterdurchschnittlich warm. Genau diese Kombination führte zu den moderaten Eisverlusten.

Die spezifischen Massenbilanzen von __Stubacher Sonnblickkees(https://doi.pangaea.de/10.1594/PANGAEA.930706)__ und __Jamtalferner(https://doi.pangaea.de/10.1594/PANGAEA.818772)__ zeigen, dass die zu kühlen Frühjahre 1996,1991 und 1987 nur moderate Eisverluste brachten – allerdings auch wegen der zu kühlen Sommer in diesen Jahren!
Andrea Fischer

Die spezifischen Massenbilanzen von Stubacher Sonnblickkees und Jamtalferner zeigen, dass die zu kühlen Frühjahre 1996, 1991 und 1987 nur moderate Eisverluste brachten – allerdings auch wegen der zu kühlen Sommer in diesen Jahren!

Solche Vergleiche sind nur durch lange Messreihen möglich. Es waren unter anderem die alpinen Vereine, die die Erforschung der Alpen Ende des 19. Jahrhunderts vorangetrieben und die ersten Beobachtungen, meist Längenmessungen, auf Gletschern initiiert haben. Diese vergleichsweise einfache Messmethode wird auch heute nach wie vor von ehrenamtlichen BeobachterInnen des Alpenvereins durchgeführt. Die Ergebnisse werden jeweils im Frühjahr veröffentlicht.

Messungen auf der Rudolfshütte seit 1896

Nach der Gründung der staatlichen Einrichtungen wie der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (1851 ZAMG) und des Hydrographischen Zentralbüros (1894 HZB) mit den Hydrographischen Diensten (HD) in den Bundesländern wurden meteorologische und hydrologische Messstellen insbesondere auch zur Klärung der Frage, ob der Niederschlag mit der Höhe zunimmt, eingerichtet.

So wurde z. B. 1896 vom Hydrographischen Dienst in Zusammenarbeit mit der Sektion Austria des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV) mit Temperatur- und Niederschlagsbeobachtungen auf der Rudolfshütte begonnen.

„Originalrapport September 1896“ der Station Rudolfshütte
HD Salzburg
„Originalrapport September 1896“ der Station Rudolfshütte

Da für Gletschermessungen keine spezielle Einrichtung gegründet wurde, werden diese heute von verschiedenen Forschungsinstitutionen (Universität Graz, Innsbruck, Salzburg, Österreichische und Bayerische Akademie der Wissenschaften) in Kooperation mit Dienststellen des Landes (Hydrographische Dienste) und des Bundes (BMLRT) finanziert und durchgeführt. Die Langzeitbeobachtungen im Umfeld der Gletscher sind zudem ins nationale sozio-ökologische Langzeit-Forschungsnetzwerk (LTER) integriert.

Über die Ostalpen durchschnittliche Winterbilanzen

Die Winterbilanzen der Gletscher werden üblicherweise Ende April gemacht, wie die folgenden Beispiele zeigen, lagen sie heuer ungefähr im oder leicht über dem Durchschnitt. Den großen Unterschied zu früheren Jahren hat der kühle Mai gemacht.

Am Hohen Dachstein lagen Ende April durchschnittliche Schneemengen, wie Kay Helfricht und Klaus Reingruber berichten. In den Hohen Tauern verzeichnen das Kleinfleißkees und das Goldbergkees einen überdurchschnittlichen Massenzuwachs, wie Anton Neureiter (ZAMG) bei den heurigen Messungen festgestellt hat. Am Kleinfleißkees liegen sogar 20 Prozent Schnee mehr als im langjährigen Mittel, am Goldbergkees sind es immerhin zehn Prozent

Porträtfotos von Andrea Fischer und Hans Wiesenegger
Fischer/Wiesenegger

Über Autorin und Autor

Andrea Fischer ist stv. Leiterin des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck, Hans Wiesenegger Leiter des Hydrographischen Dienstes (HD) des Landes Salzburg.

Weiter im Westen, in den Ötztaler Alpen haben Rainer Prinz und Lindsey Nicholson (Universität Innsbruck) am Hintereisferner eine durchschnittliche Massenbilanz erhoben. Die Schneehöhen Anfang Mai variierten zwischen 1,6 Meter an der Gletscherzunge und 4,1 Meter in den oberen Gletscherbecken. Etwas mehr als ein Viertel des Winterniederschlages (Oktober-April) ist während der drei Tage des Starkniederschlagsereignisses vom 4. bis 6. Dezember gefallen. Daraus ergab sich am Hintereisferner der niederschlagsreichste Dezember der Messgeschichte. Der kälteste Tag des Winterhalbjahres wurde erst am 7. April mit einer Tagesmitteltemperatur von -20.4°C an der Station Hintereis gemessen. Die Winterschneedecke wurde im kühlen Frühling gut konserviert, im Mai sogar noch leicht aufgestockt. Somit geht der Hintereisferner mit besten Voraussetzungen in das Sommerhalbjahr.

Christoph Mayer von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften berichtet vom benachbarten Vernagtferner in den Ötztaler Alpen ebenfalls eine Winterbilanz sehr nahe am langjährigen Mittel.

Homogene Werte auch in Südtirol und der Schweiz

Roberto Dinale vom Amt für Hydrologie und Stauanlagen der Provinz Bozen berichtet von ebenfalls noch winterlichen Bedingungen in den Bergen Südtirols. Auf der Alpensüdseite war es bis Mitte Februar sehr schneereich, dann aber extrem trocken. Am Langenferner lag mehr Schnee als letztes Jahr. Die Dichten waren winterlich bei 390 bis 410 kg/m² und zeigen entsprechend zumindest zwischen 3.300 und 2.800 Meter nur einen schwachen Höhengradienten. In diesen Höhen war noch fast kein Schmelzwasser in der Schneedecke – das ist für die Jahreszeit sehr ungewöhnlich. Die Winterbilanz könnte um die 3,25 Meter Schnee liegen und somit wäre sie etwa 30 Prozent überdurchschnittlich.

Am Westlicher Rieserferner lagen die Dichten knapp über 400 kg/m² bei etwa drei Meter Schneemächtigkeit. Die geschätzte Winterbilanz von etwa drei Meter Schnee ist nur leicht überdurchschnittlich. Ahrntal und Rieserferner haben diesen Südstau geprägten Winter weniger Schnee abbekommen als die Achse Ulten-Brenner oder die Dolomiten.

Andreas Bauder von der ETH Zürich berichtet für die Schweizer Silvretta von im Vergleich mit den letzten zehn Jahren durchschnittlichen Schneemengen bis Anfang Mai – die seither kaum geschmolzen sind. Auch hier konnten die Glaziologen ungewöhnlich weit ins Tal (Novai, 1.350 Meter) abfahren, ohne einmal die Ski abzuschnallen.

Die Messungen von 16 Schweizer Gletschern ergeben ein erstaunlich einheitliches Bild, die Bilanzen liegen im Mittel der vergangenen zehn Jahre. Eine leichte Tendenz mit eher leicht überdurchschnittlichen Werten am nördlichen Alpenhauptkamm und Engadin sowie leicht unterdurchschnittliche Werte im Süden (Basodino, Findelen) ist auszumachen. Speziell war in diesem Winter das frühe Einschneien ab dem 24. September – ebenfalls schweizweit einheitlich. Im Schweizer Messnetz Glamos findet sich dazu eine Übersicht.