Unterricht in der Klasse: Schülerin schreibt an die Tafel
andreaobzerova – stock.adobe.com
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Bildung

Warum Mathe gut für das Gehirn ist

„Mathematik ist leider immer noch ein Angstfach, das sollte sich ändern“, sagt Roi Cohen Kadosh. Der britische Neurowissenschaftler weist in seiner jüngsten Studie nach: Die Beschäftigung mit Mathematik bringt die kleinen grauen Zellen in Schwung – und das hinterlässt sichtbare Spuren im Gehirn.

Die Studie, die Cohen Kadosh mit seinem Team soeben im Fachblatt „PNAS“ veröffentlicht hat, nimmt Bezug auf ein Spezifikum des britischen Bildungssystems. Dort können Schüler und Schülerinnen nämlich entscheiden, ob sie die letzten zwei Jahre bis zur Matura noch das Fach Mathematik belegen oder nicht. Wie sich diese Wahl auf die spätere geistige Entwicklung auswirkt, haben die Wissenschaftler der University of Oxford nun anhand einer Reihe von Untersuchungen sichtbar zu machen versucht. Fazit ihrer Experimente an 82 Schülern und Schülerinnen im Alter von 16 bis 18 Jahren: Die zwei Jahre machen tatsächlich einen Unterschied, die Beschäftigung mit Formeln und logischen Problemen lässt sich mit entsprechenden Methoden sogar an den Hirnwindungen ablesen.

Unterschiede im Frontallappen

Fündig wurden Kadosh und seine beiden Kollegen George Zacharopoulosa und Francesco Sella vor allem im Frontallappen – eine Hirnregion, die mit vielen höheren geistigen Tätigkeiten in Zusammenhang steht, etwa mit logischem Denken, Lernen und Gedächtnisbildung. In dieser Region hatten die Schüler und Schülerinnen aus der Mathematikgruppe deutlich mehr Moleküle des Neurotransmitters GABA, „das ist deswegen wichtig, weil GABA auch über die Entwicklung und Plastizität des Gehirns Auskunft gibt“, sagt Kadosh im Gespräch mit dem ORF. Ähnlich war das Ergebnis psychologischer Tests: Die Schüler und Schülerinnen aus der Mathematikgruppe schnitten bei sämtlichen Aufgaben besser ab, ihr Vorsprung war also nicht nur auf die Mathematik beschränkt.

Stellt sich die Frage: Was ist Wirkung, was Ursache? Haben sich die Unterrichtsstunden dem Gehirn eingeprägt? Oder ist die Affinität für Mathematik bloß eine Folge bereits bestehender Unterschiede? „Das haben wir natürlich kontrolliert“, sagt Kadosh. „Als wir unsere Untersuchungen begannen, hatten die Schülerinnen und Schüler ihre Entscheidung für oder gegen Mathematik noch gar nicht getroffen. Zu diesem Zeitpunkt war die Neurochemie bei allen sehr ähnlich, die Unterschiede stellten sich erst später ein: Es ist also tatsächlich die Mathematik, die das Gehirn verändert. Wir konnten sogar anhand der GABA-Konzentration voraussagen, wie gut unsere Probanden 19 Monate später bei einem Mathematiktest abschneiden würden.“

Schüler von der Angst befreien

Dass Wohlstand, Bildung oder der familiäre Hintergrund für die Unterschiede verantwortlich sein könnten, schließen die britischen Forscher ebenfalls aus, die jugendlichen Probanden kamen alle aus einer ähnlichen sozialen Schicht oder sogar aus der gleichen Schule. Bemerkenswerterweise gelten diese Ergebnisse nur für Mathematik. Kadosh und sein Team haben im Rahmen ihrer Studie auch andere Schulfächer untersucht und keine wie auch immer gearteten Zusammenhänge entdeckt. Warum das so ist, bleibt unklar. Frühere Studien zeigen jedenfalls: Wer über mathematische Kenntnisse verfügt, hat im Laufe der Karriere mit höherem Einkommen zu rechnen und bleibt – statistisch gesehen – auch länger gesund.

So gesehen spräche vieles für eine verstärkte Förderung im Schulbereich, allerdings ist die Mathematik gerade hier ein ungeliebtes Fach, das so manchen schlaflose Nächte bereitet. Das sieht auch Kadosh so. „Die Angst vor Mathematik ist weit verbreitet, wir können das sogar mit psychologischen Tests nachweisen. Aber ich habe noch nie gehört, dass jemand Angst vor Geografie hätte.“ An den Schülern liege es wohl nicht, betont er. „Es hat wohl damit zu tun, wie das Fach unterrichtet wird. Und es kommt auch auf das familiäre Umfeld an. Wenn die Eltern Angst vor Mathematik haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es auch bei ihren Kindern so ist.“

Wie man junge Menschen von ihrer Qual befreien und ihre Lust am logischen Denken entfachen könnte, will Kadosh in seiner nächsten Studie untersuchen. Wie wäre es zum Beispiel mit Sudoku oder Schach? „Sudoku würde ich eher nicht empfehlen, weil man da recht schnell zu einem Lösungsrezept kommt. Aber Schach ist dynamisch, es fordert das abstrakte Denken und das Gedächtnis – ja, das könnte funktionieren.“