Aus Sicht des Klimaschutzes ist die Sache eindeutig: Über 80 Prozent der weltweiten Kohlereserven müssten unter dem Boden bleiben, um das Pariser Klimaziel von 1,5 Grad plus zu erreichen. Dazu müsste nicht nur auf den Bau neuer Kohlekraftwerke verzichtet, sondern auch die bestehenden müssten zügig abgeschaltet werden. Das wäre ein Antidot zum Treibhauseffekt, würde auch die Luftqualität verbessern und Krankheiten verhindern, die mit schlechter Luft zu tun haben – die Covid-19-Lockdowns gaben darauf kurzzeitig einen Vorgeschmack.
Viele Länder unterstützen einen derartigen Kohleausstieg, in der Powering Past Coal Alliance bekennen sich 36 dazu, darunter auch Österreich, sowie zahlreiche weitere Bundesgebiete, Organisationen und Unternehmen. Auch 100 der größten Finanzinstitutionen weltweit unterstützen ein Kohle-Divestment, wollen also kein Kapital mehr in Kohleenergie fließen lassen.
China baut weitere Kraftwerke
Auf der anderen Seite: Pro Jahr werden weltweit rund 500 Milliarden US-Dollar für Kohle ausgegeben. Der Kohlekonsum steigt weiter an, in erster Linie durch das Wirtschaftswachstum in Asien. Allen voran in China werden gerade neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 200 Gigawatt gebaut. Nach Pandemie-bedingten Einbrüchen werde sich die Kohlenachfrage deshalb weltweit auf einem hohen Niveau stabilisieren, schätzen Experten und Expertinnen.
Das Argument für die „billige Kohle“ werde dennoch immer dürftiger, schreiben nun Iain Staffell vom Imperial College in London und Kollegen in einer Studie, die soeben in der Fachzeitschrift „Joule“ erschienen ist. „Vermutlich war die Zukunft der Kohleindustrie nie unsicherer als heute.“ Erstmals seit Beginn der Industrialisierung nehme die Anzahl an Kohlekraftwerken ab, viele Kohleproduzenten würden Verluste machen und in vielen Fällen sei es mittlerweile auch ökonomisch günstiger, neue Kraftwerke mit erneuerbaren Energien zu bauen als bestehende Kohlekraftwerke weiter zu betreiben.

Über zwei Mio. Arbeitsplätze gehen verloren
Mit dem Klima befindet sich sozusagen auch der Kohlemarkt an einem „tipping point“, einem entscheidenden Punkt: Niemand kann die Zukunft vorhersagen, die Weichen dafür aber werden heute gestellt. Für ihre Studie haben die Autoren zwei Hauptweichen genauer untersucht, konkret zwei Zukunftsszenarien bis ins Jahr 2040: In dem einen wird „business as usual“ betrieben, Investitionen in und Konsum von Kohle bleiben dabei in etwa gleich wie heute, im anderen werden die Investitionen mehr als halbiert, dieses Szenario steht im Einklang mit dem Pariser Klimaziel von „deutlich weniger als zwei Grad plus“.
Im letzteren Fall würde ein Drittel der heutigen Kohleminen 2040 zu „stranded assets“ – also zu Vermögenswerten, deren Marktwert drastisch gesunken ist und gegen Null geht. Den größten Kohleproduzenten wie Australien und Indonesien würden dadurch riesige Exporteinnahmen entgehen, im Falle Australiens sind es laut Studie 25 Mrd. US-Dollar pro Jahr. Ähnlich sieht es für den Arbeitsmarkt aus: Ein klimafreundlicher Kohleausstieg würde weltweit 2,2 Mio. Arbeitsplätze vernichten, der Großteil davon in China, das rund die Hälfte der Steinkohle weltweit fördert. Aber auch in Indien und Russland wären über 100.000 Arbeitsplätze betroffen.
Übergang sorgfältig planen
Wenn die Regierungen und Finanzinstitutionen allerdings jetzt schon die Weichen richtig stellen, könnten diese Verluste vermieden werden, schreiben die Autoren. Verlorene Arbeitsplätze in der Kohleproduktion sollten etwa durch neue ersetzt werden, dafür seien Umschulungsmaßnahmen nötig; je früher der Umstieg beginne, desto sinnvoller sei dies auch ökonomisch. Denn unter den „business as usual“-Bedingungen würden vermutlich viel mehr Volkswirtschaften zu den Verlierern zählen.
Je später Klimaschutz einsetze, umso einschneidender und teurer würden die Maßnahmen, argumentieren die Forscher. „Im globalen Maßstab sind die Arbeitsplatz- und Finanzverluste klein. Sie konzentrieren sich aber auf Bergbauregionen, worunter v.a. Entwicklungsländer wie Indonesien unverhältnismäßig leiden werden, wenn der Übergang nicht sorgfältig geplant wird“, sagt Studienautor Ian Staffell.

Entscheidende Rolle von China
China spiele für die Zukunft des Kohlemarkts eine zentrale Rolle. Als mit Abstand weltgrößter Produzent würden dort ab Mitte der 2020er Jahre viele Kohleminen an ihr natürliches Ende kommen. Ob China danach wieder in großem Stil in fossile Brennstoffe oder in erneuerbare Energien investiert, sei entscheidend für den Kohlepreis, für das Verhalten von Investoren und damit auch für die Energiepolitik in Entwicklungs- und Schwellenländern. Ähnliches gelte für Indien.
Europa und die USA, deren Kohleproduktion seit Jahren sinkt, spielen da eine vergleichsweise untergeordnete Rolle – wobei deren Konsum aus Produkten besteht, die mit „chinesischer“ oder „indischer“ Kohle befeuert werden. Generell, so die Autoren, würden viele Weltregionen vom Kohleausstieg profitieren: etwa dadurch, dass sie weniger Kohle importieren müssten. Europa würde sich demnach 20 Mrd. US-Dollar pro Jahr ersparen.
Andere Länder wie Australien oder Indonesien würden hingegen ökonomisch betrachtet zu den Verlierern zählen. „Unsere Analyse zeigt, dass es bei dem Übergang Gewinner und Verlierer geben wird“, sagt Studienautor Thomas Auger vom Imperial College London. „Je mehr Regierungen ihn antizipieren, desto geringer werden die ökonomischen und sozialen Kosten.“