ITER-Baustelle in in Saint-Paul-les-Durance, Frankreich
CLEMENT MAHOUDEAU/AFP
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Kernfusion

Die Sonne auf Erden rückt näher

Energie erzeugen wie die Sonne: Die Kernfusion gilt als Energiequelle der Zukunft, nicht zuletzt deshalb, weil sie unsere Wirtschaft unabhängig von fossilen Brennstoffen machen könnte. Ob die Technologie tatsächlich funktioniert, sollen Versuche im Forschungsreaktor ITER zeigen – dort hat der Bau nun eine entscheidende Phase erreicht.

2007 wurde mit dem Bau des Reaktors begonnen, zunächst ging bei der Forschungsanlage nicht viel weiter, doch seit Bernard Bigot vor fünf Jahren die Leitung übernommen hat, weht nun ein anderer Wind durch die Baustelle in Südfrankreich: Die Schlagzahl hat sich seitdem deutlich erhöht, mittlerweile ist der Bau zu drei Viertel fertiggestellt, jetzt folgt der entscheidende Schritt: Der Magnet, mit dem das Plasma in Zaum gehalten werden soll, ist bereit für den Transport über den Ozean. Am 21. August soll der erste vom US-amerikanischen Technologieunternehmen General Atomics hergestellte Bauteil in Marseille ankommen, fünf weitere sollen bis Ende 2023 folgen, sagte ITER-Generaldirektor Bigot am Dienstag bei einer Pressekonferenz.

Tausend Tonnen schwer

Der physikalische Steckbrief des Magneten liest sich wie eine Liste von Superlativen: Tausend Tonnen wird das Herzstück des Reaktors wiegen, die magnetische Flussdichte wird 13 Tesla betragen – das ist das 280.000-fache des Erdmagnetfelds. Und die Kräfte, die in und um den Magneten im Vollbetrieb wirken, sind doppelt so hoch wie beim Start eines Space-Shuttles.

Forschungsreaktor ITER

Ob die Anlage funktioniert und den Belastungen standhält, gilt es freilich noch zu beweisen, die ersten Versuche mit einem Wasserstoffplasma sollen Ende 2025 beginnen, sagt Bigot. Das freilich ist bloß der Auftakt einer ganzen Reihe von Versuchen. Wirklich ernst mit der Kernfusion wird es dann ab 2035: Da werden die Forscher und Forscherinnen nämlich Tritium statt Wasserstoff für ihre Versuche verwenden – und mit dieser Anlage sollte es dann möglich sein, tatsächlich Strom zu erzeugen. Damit wird allerdings nicht vor Mitte des Jahrhunderts zu rechnen sein.

Null Fehlertoleranz

Hürden und potenzielle Stolpersteine auf dem Weg dorthin gibt es genug, Fehler werde man sich beim Zusammenbau jedenfalls keine erlauben können, betont Bigot im Gespräch mit dem ORF. Denn im Nachhinein ändern könne man nichts an der Anlage. „Wir haben nur einen Versuch – und der muss zum Erfolg führen.“ Potenzielle Gefahren ortet Bigot auch in organisatorischer Hinsicht. Sollte eine der 35 beteiligten Nationen – darunter die EU-Staaten, Russland und die USA – aus dem Projekt aussteigen, könnte auch das große Ziel, die Errichtung einer Sonne auf Erden, außer Reichweite gelangen.

Das dürfte auch einer der Gründe sein, warum Bigot am Dienstag mit John Smith von General Atomics an die Öffentlichkeit getreten ist, um über die Fortschritte des Projekts zu informieren. Als Mitte der 1980er-Jahre Ronald Reagan und Michail Gorbatschow die Erforschung der Kernfusion erstmals im Rahmen einer internationalen Kooperation beschlossen, war das auch als Zeichen der Annäherung zwischen West und Ost zu verstehen. Mittlerweile haben sich wieder geopolitische Gräben aufgetan, doch die Wissenschaft hält immer noch fest am damals formulierten Schulterschluss. Oder, wie es Bigot ausdrückt: „Die größten Herausforderungen können wir nur gemeinsam bewältigen. Das ist der Geist von ITER.“