Material

„Exotische“ Supraleitung doch gewöhnlich

Zwei Jahrzehnte lang glaubte die Wissenschaft, dass in Strontium-Ruthenat eine neuartige Form von Supraleitung existiert. Forscher haben das Material nun aus einem ganz anderen Grund untersucht und festgestellt, dass es diesen angeblich sensationellen Effekt gar nicht gibt. Es verhalte sich ganz ähnlich wie bekannte Hochtemperatur-Supraleiter.

Warum bestimmte Materialien bei tiefen Temperaturen ihren elektrischen Widerstand vollständig verlieren und Strom verlustfrei leiten – ein Effekt, der „Supraleitung“ genannt wird – ist bis heute nicht vollständig verstanden. Klar ist, dass sogenannte „Cooper-Paare“ dabei eine zentrale Rolle spielen. Nur wenn die Elektronen in dieser Paarform durchs Material wandern, verlieren sie keine Energie durch Zusammenstöße mit anderen Elektronen oder Atomen und der Strom kann verlustfrei fließen.

Dabei ist es aus quantenphysikalischer Sicht wichtig, „welchen Spin diese zwei Elektronen haben“, erklärte Andrej Pustogow vom Institut für Festkörperphysik der Technischen Universität (TU) Wien in einer Aussendung zu der nun im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienenen Studie. Der Spin ist das magnetische Moment eines Elektrons und kann entweder nach ‚oben‘ oder nach ‚unten‘ zeigen.

Bei den Cooper-Paaren zeigt der Spin des einen Elektrons nach oben und jener des anderen nach unten – die Wissenschaftler nennen das „Singulett“-Zustand. Dadurch kompensieren sich die magnetischen Momente und der Gesamtspin des Paares ist null. Dieser Regel folgen fast alle Supraleiter.

Großes Aufsehen

Doch 1998 veröffentlichten japanische Wissenschaftler eine Arbeit, wonach in Strontium-Ruthenat (Sr2RuO4) die Spins der beiden Elektronen von Cooper-Paaren in dieselbe Richtung zeigen („Spin-Triplett“). Wäre das der Fall, „würde das völlig neue Anwendungen ermöglichen“, so Pustogow. Denn derartige Cooper-Paare hätten keinen Gesamtspin von null mehr. Man könnte sie mit Magnetfeldern manipulieren und mit ihnen verlustfrei Information transportieren, was für Spintronik und mögliche Quantencomputer interessant wäre.

Dem entsprechend sorgte die Arbeit für großes Aufsehen in der Fachwelt – zumal Strontium-Ruthenat aufgrund seiner Kristallstruktur als wichtiges Material für die Supraleitungs-Forschung gilt: Diese Struktur ist ident mit jener von Cupraten, die Hochtemperatur-Supraleitung aufweisen. Doch Cuprate müssen gezielt mit „Unreinheiten“ versehen werden, um supraleitend zu sein, während Sr2RuO4 in seiner reinen Form Strom verlustfrei leitet.

Falsche Messungen

Bei ihrer Arbeit mit Strontium-Ruthenat stellte das Forscherteam nun fest, „dass diese alten Messungen nicht stimmen können“, so Pustogow. Bereits 2019 zeigten die Wissenschaftler, dass der angeblich exotische Spin-Effekt nur ein Messartefakt und die damals untersuchte Probe gar nicht supraleitend war. Nun haben sie die Supraleitung des Materials sehr detailliert neu untersucht und nachgewiesen, dass Strontium-Ruthenat kein „Triplett-Supraleiter“ ist. Seine Eigenschaften entsprechen vielmehr dem, was man auch bereits von den Cupraten kennt.

Der Vorteil von ultra-reinem Strontium-Ruthenat sei, dass es sich hervorragend zur Untersuchung von Hochtemperatur-Supraleitung in diesen Materialien eignet. Zudem zeigt die Arbeit für Pustogow, dass „wie überall in der Wissenschaft auch in unserem Fachbereich das Reproduzieren früherer Ergebnisse unverzichtbar ist – und genauso das Falsifizieren“.