Jemand hält eine Blutprobe in der Hand, auf der Covid-19 Delta steht
jarun011 – stock.adobe.com
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Delta-Variante: Was nun auf Österreich zukommt

Die Coronavirus-Lage in Österreich wirkt so entspannt wie lange nicht. Aber trügt der Schein? Die in Indien entdeckte Virusvariante Delta legt anteilsmäßig deutlich zu. „Delta ist so ernst, wie es nur geht“, schrieb der US-Epidemiologe Eric Feigl-Ding kürzlich auf Twitter. Dazu Fragen und Antworten.

Wie entwickelt sich die Delta-Variante in Österreich?

Laut AGES wurde die Delta-Variante in Österreich bisher 361 Mal nachgewiesen (Stand 22.6.). Das scheint nicht viel, die Tendenz beim Anteil aller Infektionen zeigt aber eindeutig nach oben. Gab es in der Kalenderwoche 20 Ende Mai erst sechs Delta-Varianten-Nachweise bei über 4.000 Infektionen, waren es in der jüngsten Kalenderwoche bereits 131 bei 1.031 Infektionen insgesamt – ein Anteil von knapp 13 Prozent.

Insgesamt ist die Sieben-Tage-Inzidenz im Land weiter rückläufig und sehr niedrig. Das erklärt sich durch den deutlichen Rückgang der Ansteckungen, die von der noch dominanten Alpha-Variante verursacht werden.

Warum wird die Delta-Variante für gefährlicher gehalten?

Delta vereint nach allem, was bisher bekannt ist, eine deutlich erhöhte Ansteckungsfähigkeit und eine leichte Immunflucht, also die Eigenschaft, den Schutz nach Impfung oder durchgemachter Infektion zu umgehen. Die Botschaft aus der Fachwelt ist aber: Wer vollständig geimpft ist, ist auch bei Delta vor schwerer Erkrankung geschützt. Mit nur einer von zwei Dosen sei der Effekt jedoch nicht so gut.

Nach bisherigen Daten ist Delta die ansteckendste bisher bekannte Coronavirus-Variante: Während für das ursprüngliche Coronavirus angenommen wurde, dass ein Infizierter, wenn keinerlei Maßnahmen getroffen werden, im Mittel rund drei bis vier andere Menschen ansteckt, waren es für die in Großbritannien entdeckte Variante Alpha bereits rund fünf Ansteckungen. Bei Delta kommen offenbar weitere 40 bis 60 Prozent hinzu. Der deutsche Virologe Christian Drosten berichtete von Hinweisen auf noch einmal deutlich erhöhte Viruslasten im Rachen von Delta-Infizierten im Vergleich zu Alpha. Dazu passen Hinweise, wonach die Mutante krankmachender sein könnte.

Noch ansteckender – was bedeutet das überhaupt im Alltag?

Zu Beginn der Pandemie erzählten manche Menschen, dass ihr Test negativ blieb, obwohl sie länger mit einem Infizierten in einem Raum waren. Als Alpha vor rund einem halben Jahr in Berlin ankam, hieß es aus einem Gesundheitsamt über Ausbrüche: Hat es einer, haben es alle. Bei Delta scheinen die Ansteckungen noch leichter zu passieren. In Indien wurde Anfang Mai gar empfohlen, auch zu Hause eine Maske zu tragen. Aufmerksamkeit lenkt der US-Epidemiologe Feigl-Ding bei Twitter auf einen Bericht, demzufolge ein Delta-Ausbruch in Australien auf ein Einkaufszentrum zurückgeführt worden sei: Menschen sollen sich dort ohne engen, direkten Kontakt zu einem Infizierten angesteckt haben.

Angesteckt quasi im Vorbeigehen – ist das möglich?

Das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) teilte auf Anfrage mit, dass solche Berichte generell schwer zu bewerten seien. Es sei ein zentrales Merkmal von Übertragungen über Aerosole (in der Luft schwebende Minitröpfchen), dass sie unbemerkt geschehen und daher eine Zuordnung zu einem bestimmten Kontakt schwierig sei. Flüchtige Kontakte seien auch generell schwer zu erfassen. Das RKI sagt aber auch: „Die hohen Ansteckungsraten in Haushalten und bei Ausbrüchen durch Delta weisen darauf hin, dass Delta noch leichter übertragbar ist als Alpha, auch ohne engen Kontakt.“

Was bedeutet die Variante für Teil- und Ungeimpfte?

Fachleute befürchten, dass Delta gerade in diesen Gruppen Chancen nutzen dürfte. Erst rund ein Drittel der Bevölkerung hierzulande ist vollständig geimpft – das heißt, es gibt noch viele Menschen, die nicht oder nur teils vor Delta geschützt sind. Für Kinder unter 12 Jahren gibt es bisher keinen zugelassenen Impfstoff.

Modellierer befürchten entsprechend, dass die Variante sich bei ungeimpften Schülerinnen und Schülern ausbreitet, wenn die Schulen zum Präsenzunterricht ohne Schutzmaßnahmen zurückkehren sollten. Das dürfte angesichts der derzeit häufigen Forderung, Schulen in der Pandemie offen zu halten, einen Konflikt bedeuten. In England, wo Delta die Fallzahlen wieder steigen lässt, wurden Schulausbrüche verzeichnet. Ebenso in Israel, wo die Maskenpflicht für Schüler in zwei Ortschaften wieder verhängt wurde, nachdem sie wenige Tage zuvor aufgehoben worden war.

Könnte man Infektionen bei Kindern und Jugendlichen im Herbst nicht tolerieren, wenn sie meist ohnehin nicht schwer erkranken?

Laut dem Modell eines Teams um Kai Nagel von der TU Berlin scheint das keine gute Idee zu sein. Wie die Wissenschaftler in einem aktuellen Bericht schreiben, würden sich demnach bei Schulöffnungen ohne Schutzmaßnahmen sehr viele Schülerinnen und Schüler anstecken, „was schlussendlich auch zu einem Anstieg der Krankenhauszahlen führen würde“. Dies sei darauf zurückzuführen, dass nicht alle Erwachsenen sich impfen lassen wollen oder können. In England zeigt sich laut Drosten, dass das Virus nicht nur an Schulen umgeht, auch in der Gastronomie habe es mittlerweile Ausbrüche gegeben.

Gegen das Laufenlassen des Virus spricht auch der Schutz von Kindern und Jugendlichen selbst: Sie sind nicht völlig vor Spätfolgen gefeit. Würde es in den jungen Altersgruppen zu wesentlich höheren Inzidenzen kommen als bisher, gäbe es auch mehr schwere Krankheitsfälle – trotz des eigentlich sehr geringen Anteils an solchen Verläufen.

Warum nehmen in Indien die Fälle seit Wochen wieder stark ab?

Laut dem bekannten indischen Virologen T Jacob John dürfte der Rückgang der Fälle hauptsächlich eine natürliche Ursache haben: So habe sich das Virus bei der heftigen zweiten Welle schnell verbreitet, wodurch immer weniger empfängliche Menschen übrig blieben. Dadurch sei die Welle abgeflaut. John geht basierend auf Berechnungen davon aus, dass während der beiden bisherigen Wellen in Indien insgesamt mindestens eine Milliarde der mehr als 1,3 Milliarden Menschen im Land Corona gehabt und dadurch einen gewissen Schutz hätten. Auch Drosten sagte, dass wohl hauptsächlich einsetzende Herdenimmunität in Indien zum Rückgang geführt habe, außerdem erwähnte er die kurzzeitig getroffenen strengen Maßnahmen.