Doppelhelix von Erbgut, DNA, Genom
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Ernährung

Forscher finden Schlankheitsgen

Bei Untersuchungen an 640.000 Probandinnen und Probanden sind Wissenschaftler auf eine seltene genetische Variante gestoßen: Das Gen GPR75 schützt offenbar vor Fettleibigkeit – und weckt die Hoffnung, dass man diesen Effekt auch in Therapien ausnützen könnte.

Zwei Milliarden Menschen weltweit sind laut WHO übergewichtig, im Fachblatt „The Lancet Gastroenterology & Hepatology“ war kürzlich von einer “Pandemie“ die Rede, die sich im Schatten des Coronavirus immer weiter ausbreite.

Betroffen sind nicht nur die westlichen Industrienationen, die Schwellenländer ziehen in hohem Tempo nach, selbst in armen Ländern ist der Anteil Dickleibiger im Steigen begriffen. Die medizinischen Folgen sind bekannt: Übergewicht erhöht das Risiko für Diabetes und Herzinfarkte und könnte in den nächsten Jahren das Rauchen als Hauptursache für Krebs ablösen.

Nahliegend daher, auch nach den erblichen Ursachen der Misere zu suchen. Auf der negativen Seite wurde die Wissenschaft schon mehrfach fündig, mittlerweile sind etwa Gene bekannt, die die Fetteinlagerung im Bauchraum begünstigen, und solche, die den Gusto auf Süßigkeiten, Alkohol und Snacks erhöhen.

Experiment: Mäuse auf Fett-Diät

Natürlich sollte es auch Gene geben, die das Umgekehrte tun, also vor Übergewicht schützen – von so einem Fund berichtet nun der Stoffwechselforscher Luca Lotta. Der Wissenschaftler vom Biotech-Unternehmen Regeneron hat mit seinem Team das Erbgut von 640.000 Probanden und Probandinnen unter die Lupe genommen und dort 16 Sequenzen entdeckt, die mit dem Body-Mass-Index in Zusammenhang stehen. Eine davon – eine seltene Variante des Gens GPR75, die bei vier von 10.000 Personen auftrat – ist offenbar ein Garant für Schlankheit, zumindest, sofern man es mit der Kalorienaufnahme nicht völlig übertreibt.

Dass dem so ist, haben Lotta und sein Team unter anderem im Tierversuch nachgewiesen. Bei Mäusen, die auf fettreiche Diät gesetzt wurden, sorgten Eingriffe an diesem Genort für eine schlankere Konstitution, die genetisch modifizierten Tiere legten um bis zu 44 weniger an Gewicht zu als ihre „normalen“ Artgenossen.

Rezeptor im Hypothalamus

Warum sich gerade hier so eine beträchtliche Wirkung erzielen lässt, wissen die Forscher noch nicht genau. Bekannt ist, dass es sich bei GRP75 um einen Zellrezeptor handelt, der unter anderem im Gehirn und in der Bauchspeicheldrüse gebildet wird. Dort greift das Molekül, wie bereits eine Studie aus dem Jahr 2016 feststellte, in den vom Hypothalamus gesteuerten Insulinhaushalt ein. Der Hypothalamus ist übrigens jene Zone im Gehirn, mit der auch die meisten anderen von Lotta und seinem Team entdeckten Gene in Zusammenhang stehen.

Übergewichtiger Bub steht auf der Waage
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Übergewicht hat auch genetische Ursachen – aber die Gene sind nur ein Faktor von vielen

Giles Yeo von der Universität Cambridge wertet das in einem Kommentar zur Studie als Argument dafür, dass mit dem genetischen Screening mehr entdeckt wurde als bloß statistische Korrelationen: Denn im Hypothalamus entstehen die Signale, die wir als Hunger und Durst empfinden, und hier docken auch Hormone an, die das Gefühl der Sättigung hervorrufen.

Suche nach der Schlankheitspille

Die entdeckten Genvarianten wecken jedenfalls die Hoffnung, dass man ähnliche Effekte auch pharmakologisch, durch Einsatz von neuen Wirkstoffen, erzielen könnte. GPR75 sei ein vielversprechender Ansatzpunkt, sagt Lotta gegenüber dem ORF. „Bei MC4R, einem anderen der von uns identifizierten Gene, wird bereits untersucht, ob es sich für eine Schlankheitspille eignen könnte.“

Im Fall von MC4R hat Lotta schon vor ein paar Jahren herausgefunden, dass bestimmte Mutationen das natürliche Sättigungsgefühl hemmen – Menschen, die diese Mutation im Erbgut tragen, haben Schwierigkeiten, mit dem Essen aufzuhören, und sind daher häufiger übergewichtig.

Laut einer Studie an 300.000 Probandinnen und Probanden aus dem Jahr 2019 lässt sich der Einfluss der Gene auch in einen Risikowert für Übergewicht umrechnen, statistisch betrachtet ist der Zusammenhang eindeutig: Menschen mit einem hohen Wert sind um etwa 13 Kilogramm schwerer als jene vom anderen Ende der Skala.

Lebensstil entscheidet

Der Unterschied sei erstaunlich, sagte Studienautorin Sekar Kathiresan vom Broad Institute in Boston vor zwei Jahren gegenüber der „New York Times“. Gleichwohl bedeute das nicht, dass man durch ein hohes genetisches Risiko dem Schicksal ausgeliefert sei. Der Zusammenhang sei da, „aber unausweichlich ist er nicht“. Das zeigt sich etwa daran, dass es auch in der Hochrisikogruppe eine nachweisbare Streuung gibt, manche bleiben trotz ihrer nachteiligen Gene schlank – warum das so ist, bleibt unklar.

Möglicherweise gibt es bisher unentdeckte Gene, die den negativen Effekt abpuffern können. Denkbar wäre freilich auch, dass die Erklärung viel einfacher ist und sich die Betroffenen schlicht für einen gesunden Lebensstil entschieden haben. In diese Richtung weist auch eine Untersuchung von Amit Khera. Laut dem Kardiologen vom Massachusetts General Hospital lassen sich auch bei der Herzgesundheit genetische Risikofaktoren nachweisen. Doch die allein sind nicht entscheidend: Wer auf seine Gesundheit achtet, kann selbst mit nachteiligen Genen das Erkrankungsrisiko um etwa die Hälfte reduzieren.