Materiezustand

Test misst Stärke der „spukhaften“ Fernwirkung

Ein „Bose-Einstein-Kondensat“ (BEC) ist ein exotischer Materiezustand nahe dem absoluten Nullpunkt (minus 273 Grad Celsius), bei dem sich Hunderte Atome wie ein einzelnes Quantenobjekt verhalten. Ein von Wiener Physikern mitentwickelter Test erlaubt nun, die Stärke der „spukhaften Fernwirkung“ zwischen den BEC-Teilchen zu messen.

Üblicherweise haben alle Atome in einem Gas unterschiedliche Geschwindigkeiten und befinden sich an unterschiedlichen Orten. Quantenphysikalisch ist damit jedes Teilchen ein eigenes Quantenobjekt. Handelt es sich bei den Teilchen um Bosonen (das sind Atome, die sich aus einer geraden Zahl von Protonen, Neutronen und Elektronen zusammensetzen und deshalb „ganzzahligen Spin“ haben) nehmen sie knapp am absoluten Nullpunkt den Zustand mit der geringstmöglichen Energie ein, sie bilden ein BEC.

In einem solchen Bose-Einstein-Kondensat geben allein die Gesetze der Quantenphysik die Spielregeln vor. In diesem Zustand gibt es zwischen den Atomen Verbindungen, die sich mit der klassischen Physik nicht erklären lassen – die Physiker sprechen von Verschränkung.

Verschränkte Teilchen bleiben auf scheinbar paradoxe Weise auch über große Distanzen miteinander verbunden. Dieses Phänomen – für Albert Einstein war es „spukhaft“ – ist eine charakteristische Eigenschaft der Quantenmechanik und lässt sich am besten mit dem fiktiven Experiment von zwei verschränkten Münzen nachvollziehen: Wirft man eine dieser Münzen und schaut nach, ob Kopf oder Zahl oben liegt, wäre auch bei der anderen Münze die entsprechende Seite oben – auch wenn diese beliebig weit entfernt ist.

Kollektiver Spin

Solche Verschränkungen in einem BEC nachzuweisen, ist allerdings schwierig, bisher können die Physiker nur wenige kollektive Eigenschaften eines BEC erfassen. Forscher des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien haben mit Kollegen aus der Schweiz und Japan nun eine Möglichkeit gefunden, aus kollektiven Zuständen eines Bose-Einstein-Kondensats Rückschlüsse auf die Stärke der Verschränkung im System zu ziehen. Die Studie dazu ist nun Fachblatt „Physical Review Letters“ erschienen.

Gemessen wird dazu der kollektive Spin des Systems, der sich aus den verschiedenen Spinzuständen zusammensetzt, in denen sich die Elektronen der einzelnen Atome befinden. Damit lässt sich die Verschränkung nicht nur nachweisen, sondern auch ihre Stärke bestimmen. Zum Einsatz kommen dabei bereits etablierte Messmethoden, und das Ganze geht auch mit Messdaten aus früheren Experimenten, so Matteo Fadel von der Universität Basel, der Erstautor der Publikation.

Eine Art Gütesiegel

Warum interessieren sich die Physiker für die Stärke der Verschränkung eines Systems? „Man kann diese Stärke zunächst als eine Art Gütesiegel für die experimentelle Anordnung verstehen: Je mehr Verschränkung, desto besser hat man sein System unter Kontrolle, umso besser hat man es präpariert, umso mehr Teilchen konnte man hier kohärent einfangen und interagieren lassen“, erklärte Nicolai Friis vom IQOQI gegenüber der APA.

Die Stärke der Verschränkung sei aber auch eine interessante Kennziffer, wenn man solche Systeme als hochkomplexe Quantensimulatoren nutzt und damit die Dynamik und Wechselwirkung von einigen hundert Teilchen untersucht, um Vielteilchensysteme mit Tausenden oder Millionen Teilchen besser zu verstehen. Zudem könnten BEC für präzise Sensoren genutzt werden, wobei als Faustregel gelte: je stärker die Verschränkung, desto sensibler wäre ein solcher Sensor.