Menschen am Weg zum Austria Center Vienna, um sich mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson impfen zu lassen
APA/ROLAND SCHLAGER
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Coronavirus

Pandemische Sprachhürden

Arme Menschen und prekär Beschäftigte haben ein höheres Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Auch viele Migrantinnen und Migranten zählen zu dieser Gruppe. Sprachschwierigkeiten erschweren ihnen den Zugang zu seriöser Coronavirus-Information, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Gerade zu Beginn der Pandemie änderten sich die Informationen über das Coronavirus und die Maßnahmen häufig. Eine Herausforderung besonders für Menschen, die nicht gut Deutsch sprechen, erklärt Judith Kohlenberger vom Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien. „Dieses Selbstverständnis, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Wohnbevölkerung in Österreich eine andere Erstsprache als Deutsch hat und auch in anderen Sprachen informiert werden muss, das fehlt.“

Einsprachige Medienlandschaft

Im Auftrag des Sozial- und Gesundheitsministeriums hat die Migrationsforscherin gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen untersucht, wie Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete die Pandemie in Österreich bisher erlebt haben. Im Rahmen einer qualitativen Studie wurde in Wien und Umgebung erhoben, wo und wie sich diese Gruppe informiert und welche Erfahrungen sie im ersten Pandemiejahr gemacht hat.

„Was sich gezeigt hat, und da besteht gar kein so großer Unterschied zur Gesamtbevölkerung in Österreich, ist, dass während der Coronavirus-Krise Qualitätsmedien, allen voran der ORF, an Stellenwert gewonnen haben“, berichtet Kohlenberger. Gleichzeitig seien Menschen mit wenig oder keinen Deutschkenntnissen bei Qualitätsmedien stark auf Sprachbarrieren gestoßen. In vielen migrantischen Communitys hätten Einzelpersonen Informationen übersetzt, zusammengefasst und über Social Media oder Messenger zur Verfügung gestellt. Oder man besuchte die Social-Media-Kanäle österreichischer Medien, da es dort die Möglichkeit gibt, sich eine automatisierte Übersetzung anzeigen zu lassen.

Ausgangsbeschränkungen und strenge Kontrollen

Für Geflüchtete waren vor allem zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich 2015 etabliert haben, ein wichtiges Unterstützungsnetzwerk, berichtet Kohlenberger. Gerade auf behördlicher Seite sieht die Forscherin noch Verbesserungspotenzial. Für einige der Befragten wurden die Maßnahmen im Laufe der Pandemie immer weniger nachvollziehbar, erzählt die Forscherin. „Man hat nicht ganz verstanden, warum zum Beispiel Fitnessstudios gesperrt, aber Skilifte offen waren.“

Die Angst, bei Verstößen gestraft zu werden, sei eine sehr starke Motivation gewesen, sich an die Maßnahmen zu halten. Gerade Geflüchtete hätten berichtet, dass sie in dieser Zeit öfters von der Polizei angehalten wurden, wenn sie beispielsweise nach 20 Uhr noch unterwegs waren. Wobei bei diesen Kontrollen dann meist auch der Aufenthaltsstatus kontrolliert worden sei. „Die Angst vor einer Strafe war ein sehr starker, ich würde sagen, negativer Motivator, um sich auf jeden Fall an die Maßnahmen zu halten.“

Prekär Beschäftigte besonders vulnerabel

Daten aus Großbritannien zeigen, dass prekär Beschäftigte ein doppelt so hohes Risiko hatten, in der ersten Welle an Covid-19 zu sterben. Sie sind am Arbeitsplatz weniger gut geschützt. Ein Umstand, den auch Judith Kohlenberger feststellen konnte. „Wir hatten in unseren Gruppendiskussionen durchaus viele Menschen, die eher in niedrig qualifizierten Bereichen oder in prekären Bereichen tätig waren, z. B. einige Uber-Fahrer, die berichtet haben, dass sie nicht ausreichend geschützt sind am Arbeitsplatz.“ Gleichzeitig sei der Druck und die Intensität der Arbeit, vor allem auch im Reinigungssektor, während der Lockdowns gestiegen.

Impfbereitschaft und Impfmythen

Die Impfbereitschaft ist unter Migrantinnen und Migranten sehr unterschiedlich ausgeprägt. Valide Daten zum Thema „Impfungen und Migration“ sind derzeit in Wien nicht verfügbar. Eine Auswertung von ORF.at zeigt aber, dass es starke regionale Unterschiede mit höherer Impfdisziplin in wohlhabenderen Stadtvierteln und niedrigeren Impfraten in Arbeiter- und Ausländerbezirken gibt.

„Gerade unter Menschen mit türkischem oder BKS-Hintergrund gibt es einige, deren Hauptmotivation für eine Impfung darin liegt, wieder reisen zu können“, sagt Kohlenberger. Andererseits würden auch viele Impfmythen kursieren, gerade auch unter arabischen und afghanischen Geflüchteten. „Eine große Angst war zum Beispiel bei Frauen, dann nicht mehr schwanger werden zu können.“

Wichtig seien Vorbilder aus den Communitys, die zeigen, dass eine Impfung zwar kurzfristig mit leichten Nebenwirkungen wie einem schmerzenden Oberarm einhergehen kann, langfristig aber der Nutzen und die wiedergewonnenen Freiheiten überwiegen.

Mehrsprachige Nachrichten und „Corona-Lotsen“

Um die migrantischen Communitys besser über Covid-19 zu informieren, empfehlen die Forscherinnen und Forscher mehrsprachige Nachrichten in den großen TV-Sendern und Tageszeitungen sowie auf den Social-Media-Kanälen der österreichischen Qualitätsmedien. Auch Coronavirus-Sprechstunden für Communitys könnten ein guter Weg sein, um offene Fragen oder Anliegen in Bezug auf Covid-19 zu thematisieren.

Zudem würden sie die Ausbildung von „Corona-Lotsinnen und -Losten“ unterstützen. Personen mit Migrations- oder Fluchthintergrund, die eine spezielle Schulung in Bezug auf das Coronavirus und den Umgang damit bekommen haben. „Also Menschen, die die Sprache sprechen, die einen ähnlichen kulturellen Hintergrund haben, die niederschwellig kontaktiert werden können und einen unterstützen, egal ob es ums Testen geht oder um einen Impftermin.“