Buschfeuer in Australien
AFP – SEAN DAVEY
AFP – SEAN DAVEY
Klimakrise

IPCC sieht dringenden Handlungsbedarf

Am 9. August erscheint der neue Klimabericht des Weltklimarats IPCC. Seit Montag beraten dazu Regierungsvertreter, die die Arbeit der Expertinnen und Experten zur Veröffentlichung freigeben. Zum Auftakt sahen die Redner dringenden Handlungsbedarf: Die Welt müsse aufgerüttelt durch die jüngsten Extremwetterereignisse dringend handeln, um den Klimawandel abzumildern.

2014, als der IPCC zuletzt umfassend über den Zustand des Klimas berichtet hat, war die Welt längst nicht mehr in Ordnung, aber es gab einen ganz entscheidenden Unterschied zu heute. Nach den Prognosen mit starkem Temperaturanstieg kam eine lange Pause: von 1998 bis 2014 veränderte sich die globale Mitteltemperatur kaum. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kratzten sich am Kopf.

Die wärmsten sechs Jahre seit Messbeginn hintereinander

„Nicht, dass jemand Zweifel an den Grundlagen gehabt hätte“, sagt Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg der Deutschen Presse-Agentur. „Aber man fragt sich, wenn so ein Phänomen auftritt, das man nicht vorhergesehen hat: Wo sind die Grenzen unserer Erkenntnis?“ Schon frohlockten Klimawandel-Skeptiker, aber dann kam es ganz anders.

Kaum war der 5. IPCC-Sachstandsbericht 2013/2014 erschienen, stieg die globale Mitteltemperatur dramatisch an. Die vergangenen sechs Jahre – 2015 bis 2020 – waren die wärmsten seit Messbeginn. 2016, 2019 und 2020 waren mit minimalen Unterschieden die drei heißesten Jahre. Dass sich von 1998 bis 2014 wenig tat, war eine normale Schwankung, aber statistisch ein Extremereignis, sagt Marotzke, "so, als wenn man bei „Mensch ärgere Dich nicht" acht Mal hintereinander eine 6 würfelt.“

“Schnell Anpassungsmaßnahmen ergreifen“

Am 9. August erscheint nun der mit Spannung erwartete erste Band des neuen Sachstandsberichts über die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels. Am Montag begann die zweiwöchige Sitzung der Regierungsvertreter, die die Arbeit der Wissenschaftler absegnen und zur Veröffentlichung freigeben.

Der Bericht ist Handlungsgrundlage für Politiker bei der Weltklimakonferenz im November in Glasgow. „Es ist wichtig, dass wir so schnell wie möglich Maßnahmen zu Minderung der Folgen der globalen Erwärmung ergreifen. Wir können nicht Jahrzehnte warten“, sagte Petteri Taalas, der Chef der Weltwetterorganisation (WMO), am Montag.

Was ist von dem Bericht zu erwarten? „Der Fokus hat sich verschoben“, sagt Douglas Maraun, Mitautor und Experte für statistische Modellierung an der Universität Graz. "Früher war die Hauptfrage: „Was ist der Anteil des Menschen am Klimawandel?" Diese Frage ist beantwortet. Jetzt geht es mehr in Richtung Klimarisiken. Jetzt braucht man einen Bericht als Grundlage für Anpassungen.“ Dazu gehören zum Beispiel möglichst gute Vorhersagen für den regionalen Klimawandel.

Interaktive Regionalkarten

Deshalb enthält der neue Bericht erstmals einen interaktiven regionalen Atlas. Dort kann man schauen, welche regionalen Auswirkungen bestimmte Klimaindikatoren voraussichtlich zu bestimmten Jahreszeiten haben, wie Maraun sagt. Das lasse sich zwar nicht auf Länderebene herunterbrechen, aber auf Regionen, Mittel-West-Europa etwa, wozu auch Österreich zählt.

„Die Sommertemperaturen steigen hier deutlich stärker als von Klimamodellen simuliert“, sagt Maraun. „Es wird erforscht, welche Rolle dabei Aerosole und natürliche Schwankungen spielen.“

Aerosole, die etwa durch Vulkanausbrüche oder Wüstenstürme, aber auch Verbrennung von fossilen Brennstoffen entstehen, haben meist eine kühlende Wirkung und wirken den Treibhausgasen entgegen. Durch die Verbesserung der Luftqualität seit den 70er Jahren könnte dieser Effekt teilweise ausgeschaltet worden sein.

“Milder Optimismus“

Thema sei auch der Meeresspiegelanstieg, sagt Marotzke, ebenfalls Mitautor. „Diese Frage wird in der Wissenschaft heiß diskutiert.“ Die größten Unsicherheitsfaktoren seien die großen Eisschilde von Grönland und der Antarktis und ihre möglichen Instabilitäten.

Was hat sich getan seit dem letzten Bericht? „Mir fällt spontan nichts ein, wo Dinge weniger dramatisch waren, als es die Modelle vorausgesagt haben“, sagt Maraun. Er sei aber „milde optimistisch“: „Die Klimaschutzpolitik bewirkt etwas, wir sind noch lange nicht auf dem grünen Zweig, aber das ganz Dystopische wird unwahrscheinlicher.“ Das Ziel des Klimaabkommens von Paris, möglichst unter 1,5 Grad Erwärmung zu bleiben, sei aber „sportlich“. Maraun bezeichnet diejenigen als Optimisten, die von drei Grad Erwärmung ausgehen.

Eine Herausforderung, so Maraun, sei es, den Klimaschutz im Einklang mit der Biosphäre zu gestalten. „Wenn man überall Raps und Energiewälder anbaut, hat man das Klima vielleicht geschützt, aber zerstört die Artenvielfalt“, sagt er.

Gegen „Katastrophenlyrik“

Marotzke hadert mit Aktivisten, die mit Untergangsszenarien Stimmung machen: "Ich habe Mühe mit dem Konzept „point of no return", dem Punkt, an dem die Klimawandelfolgen unumkehrbar sind. Klar werden wir einiges unwiderruflich verlieren, etwa Korallenriffe. Aber wenn die Katastrophenlyrik besungen wird, klingt das so, als ob da dieser Punkt kommt, und danach geht die Welt unter, egal was wir tun“, sagt er. „Diesen Punkt gibt es nicht. Es lohnt sich immer, weitere Erwärmung zu verhindern oder zu begrenzen.“