Alte Frau im Rollstuhl mit Betreuung
©Photographee.eu – stock.adobe.com
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Pandemie

Covid-19 könnte Demenzfälle erhöhen

Laut einer neuen Prognose werden im Jahr 2050 weltweit über 150 Mio. Menschen an Demenzkrankheiten leiden – dreimal so viel wie aktuell. Ursachen dafür: die immer älter werdende Bevölkerung und ungesunder Lebensstil. Doch auch Covid-19 könnte die Gefahr kognitiver Beeinträchtigungen erhöhen, hieß es bei einer internationalen Alzheimer-Konferenz.

Schon seit Längerem ist bekannt, dass Personen, die am Coronavirus erkrankt sind, neben Lungenproblemen und anderen Symptomen auch manchmal unter sogenanntem „brain fog“ leiden. Der „Gehirnnebel“ äußert sich in Verwirrung, Antriebslosigkeit sowie Kopfschmerzen und kann auch Monate nach einer Genesung bestehen. Weltweit werden daher die Mechanismen untersucht, die dahinterstecken.

Im Rahmen der “Alzheimer’s Association International Conference" (AAIC), die am Freitag zu Ende geht, kamen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, um über die aktuellsten Untersuchungen auf dem Gebiet der Demenz- und Alzheimerforschung zu beraten. Dabei wurden auch neue Erkenntnisse zum Zusammenhang von Covid-19 und langanhaltenden kognitiven Beeinträchtigungen präsentiert.

Gedächtnisschwächen auch nach Genesung

Gabriel de Erausquin von der Universität von Texas etwa untersuchte mit einem Forscherteam die kognitiven und olfaktorischen (Geruchssinn) Funktionen von knapp 300 älteren Argentinierinnen und Argentiniern, die drei bis sechs Monate zuvor an Covid-19 erkrankt waren. Mehr als die Hälfte von ihnen klagte über anhaltende Vergesslichkeit. Bei knapp einem Viertel waren weitere kognitive Funktionen geschwächt – sie hatten etwa Schwierigkeiten beim Sprechen. Begleitet wurden die Symptome oft von anhaltenden Problemen mit dem Geruchssinn, jedoch nicht in der Stärke, wie es oft während einer Covid-19-Infektion der Fall sei, so die Forscher.

Weitere Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen anhaltenden kognitiven Beeinträchtigungen und COVID-19 kommen aus Griechenland. „Wir haben beobachtet, dass besonders Erwachsene in höherem Alter davon betroffen sind“, erklärt George Vavougios von der Universität von Thessalien gegenüber dem ORF.

Zusammen mit einem Team untersuchte er zahlreiche aus dem Krankenhaus entlassene Personen, die zuvor leichte bis mittelstarke Covid-19-Erkrankungen aufwiesen. Bis dato gebe es laut dem Forscher aber nur handfeste Daten zu 32 der untersuchten Patientinnen und Patienten. Schon dabei habe sich aber gezeigt: „Über die Hälfte von ihnen hatten auch zwei Monate nach dem Krankenhausaufenthalt noch ein beeinträchtigtes Kurzzeitgedächtnis oder waren in anderen kognitiven Bereichen geschwächt“, so der griechische Forscher. Die Patienten, die eher unter kognitiven Beeinträchtigungen litten, waren laut Vavougios in den meisten Fällen älter als jene, die keine Langzeitfolgen aufwiesen.

Alter und Körpergewicht entscheidend

In einem Test, bei dem die Patientinnen und Patienten sechs Minuten lang ohne Unterbrechung gehen mussten, zeigte sich außerdem, dass länger anhaltende kognitive Beeinträchtigungen vor allem bei jenen Patientinnen und Patienten nachgewiesen werden konnten, deren Sauerstoffgehalt im Blut niedriger war als bei anderen. Einerseits könne dies an Lungenproblemen liegen, die auf Covid-19 zurückzuführen sind, andererseits aber an einem generell ungesunderen Lebensstil. Laut Vavougios und seinem Team sei es daher wahrscheinlich, dass neben dem Alter auch das Körpergewicht ausschlaggebend sein könnte, ob Personen nach einer Covid-19-Erkrankung an anhaltenden kognitiven Beeinträchtigungen leiden.

Vavougios und Erausquin betonen, dass weitere Untersuchungen nötig seien, um die möglichen Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung auf die kognitiven Fähigkeiten und deren Ursachen exakt zu ermitteln. Die bisher gesammelten Informationen würden aber nahelegen, dass ein Zusammenhang besteht.

Bis 2050: Demenz-Fälle könnten sich verdreifachen

Dass der Lebensstil abseits von Covid-19 Auswirkungen auf die kognitive Gesundheit hat, legen auch weitere im Rahmen der AAIC präsentierte Forschungsergebnisse nahe. Um eine möglichst akkurate Prognose künftiger Demenz- und Alzheimerfälle zu erstellen, untersuchte Emma Nichols von der University of Washington School of Medicine mit einem Team Daten der Global Burden of Desease-Studie (GBD) aus den Jahren 1999 bis 2019. Dabei handelt es sich um eine umfassende Sammlung von Schätzungen zu Gesundheitstrends weltweit, in der auch erstmals Informationen über Demenz-Risikofaktoren einbezogen wurden.

Die Forscherinnen und Forscher zeigen in ihrer Prognose auf, dass positive Trends beim globalen Bildungszugang die weltweiten Fälle von Demenz bis zum Jahr 2050 um 6,2 Millionen senken werden. Gleichzeitig werden aber die erwarteten Trends beim Rauchen, einem hohen Body-Mass-Index und hohem Blutzucker die Fälle um fast die gleiche Zahl – 6,8 Millionen – erhöhen.

Faktoren wie der Anstieg der Weltbevölkerung und höhere Lebenserwartungen seien dafür verantwortlich, dass die Zahl der Demenzfälle insgesamt deutlich ansteigen könnte. Unter Einbeziehung aller vorhandenen Daten prognostiziert Nichols, dass sich die Zahl der Demenzkranken bis zum Jahr 2050 auf mehr als 152 Millionen fast verdreifachen wird. Der höchste Anstieg der Fälle wird für das östliche Afrika südlich der Sahara, Nordafrika und den Nahen Osten erwartet.

Weitere Untersuchungen „unerlässlich“

„Es ist derzeit nicht möglich zu sagen, welche Auswirkungen die Covid-19-Pandemie auf die prognostizierte Verdreifachung der Demenzkranken haben wird. Dazu fehlen uns einfach noch die Daten von Langzeituntersuchungen. Klar scheint aber zu sein, dass auch Covid-19 zu längerfristigen Beeinträchtigungen der kognitiven Funktionen führen kann. Ob daraus später Demenz- oder Alzheimererkrankungen entstehen können, muss noch genauer erforscht werden“, erklärt Vavougios in einer Reaktion auf die Prognose.

“Mit mehr als 190 Millionen Fällen weltweit und knapp vier Millionen Toten hat Covid-19 die ganze Welt verwüstet. Es ist daher unerlässlich, dass wir die Untersuchungen weiterführen, um herauszufinden, was das Virus mit unseren Körpern und Gehirnen macht“, erklärt auch Heather Snyder, von der Alzheimer’s Association.