Teilnehmerin des Olympia-Triathlons in Tokio – sie läuft vor Olympia-Logos
AFP – CHARLY TRIBALLEAU
AFP – CHARLY TRIBALLEAU
Yonca Krahn

Triathlon und (Selbst)reflexion

Yonca Krahn ist Sportanthropologin und gewissermaßen ihr eigenes Versuchskaninchen. Denn Krahn ist ebenso begeisterte Triathletin. Für ihre Doktorarbeit hat sie andere Triathleten in Aktion begleitet und begonnen, auch ihr eigenes Tun zu hinterfragen – eine Reflexion und Selbstreflexion, die im Fachjargon Autoethnographie heißt.

Rund um den Triathlon hat sich eine ganz eigene Welt gebildet. Wie schnell laufe ich, wie effizient schwimme ich, wie viel Watt trete ich auf dem Fahrrad? Irgendwann dreht sich der ganze Alltag nur mehr um Fragen wie diese. Yonca Krahn, Sportanthropologin an der Universität Zürich, war Teil dieser Gemeinschaft.

2008 nahm sie an ihren ersten Triathlon-Wettkämpfen teil. In der Hochphase hat sie dafür bis zu 20 Stunden in der Woche trainiert. Schneller, höher, stärker – dieses olympische Motto sei schleichend in ihr Leben eingezogen. „Ich weiß noch, wie ich am Anfang immer dachte: Einen Marathon laufen, das ist schon ein bisschen verrückt, das ist so lang. Und plötzlich war es das Normalste der Welt für mich.“

Leistungscodes auf der Badehaube

Science goes Olympia

Während der Olympischen Spiele stellen wir eine Reihe von Wissenschaftlerinnen vor, die auch Spitzensportlerinnen sind oder waren: zu hören in Ö1 Wissen aktuell, zu lesen in science.ORF.at. Bisher erschienen:

Für den Triathlon „Ironman“ muss man unter anderem eine Marathondistanz, also mehr als 42 Kilometer laufen. Es gibt aber auch sogenannte Ultratriathlons, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tagelang hunderte Kilometer zurücklegen. So weit hat es Krahn nicht getrieben. Für sie war immer klar, dass sie hauptberuflich als Kulturwissenschafterin arbeiten möchte. 2014 hat sie mit ihrer Dissertation „Triathlon – auf der Strecke und darüber hinaus“ begonnen.

„Und das hat mein Verhältnis zu diesem Sport verändert.“ Krahn begann gewisse Muster zu hinterfragen. „Also beispielsweise, wenn ich bei Freunden zu Besuch war, die auch Triathlon betrieben haben, hing immer der Neoprenanzug in der Badewanne, oder man ist im Vorzimmer über dutzende Laufschuhe gestolpert.“ Plötzlich wurde ihr bewusst, wie wichtig Status und zugehörige Symbole in der Szene sind. „Wenn ein Triathlet schwimmen geht, muss er unbedingt eine Badehaube tragen, auf der das Logo eines möglichst prestigeträchtigen Wettbewerbs abgebildet ist. Damit zeigt er allen, die diese Codes lesen können, welche Leistung er schon erbracht hat.“

Yonca Krahn mit Laptopund Radhelm
Frank Brüderli / UZH Zürich
Yonca Krahn

Schneller, höher, stärker

Krahn erkannte diese Muster auch bei sich selbst. „Und ich habe dann zu mir selbst gesagt: Was mache ich da eigentlich?“ Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, schlüpfte die Deutsche kurzerhand selbst in die Laufschuhe, oder schwang sich aufs Rad und lief beziehungsweise fuhr mit ihren Gesprächspartnern mit. Dabei habe sie von ihren eigenen Erfahrungen profitiert. „Ich konnte die richtigen Fragen im richtigen Moment stellen. Denn ich weiß, wie schwer die Beine nach einer gewissen Distanz werden, wann man Hoch und Tiefs bekommt, wie sich ein Hungerast anfühlt.“

Bei einem Hungerast gehen einem plötzlich die Zuckerreserven aus und man wird immer langsamer. Einen Triathlon erfolgreich absolvieren – das ist halt auch eine eigene Wissenschaft, weiß Krahn, die derzeit am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich tätig ist. Dort hat sie sich auf den Bereich Sportanthropologie spezialisiert und mit ihren wissenschaftlich-athletischen Selbstexperimenten ihre eigene Nische gefunden. „Im Fachjargon nennt man diese Art der Forschung Autoethnographie“, erklärt Krahn.

Teilnehmerin des Olympia-Triathlons in Tokio läuft aus dem Wasser
AFP – LOIC VENANCE

Die Pandemie schuf digitale Triathlons

Im ersten Covid-19-Pandemie-Jahr konnten keine Wettbewerbe stattfinden. Die Szene hat sich spontan etwas Neues einfallen lassen: Online-Triathlons. „Anbieter haben dann Routen hochgeladen, die jeder Athlet und jede Athletin für sich absolvieren konnte. Und dann gab es virtuelle Ranglisten.“

Sie bevorzuge aber dennoch klassische Triathlons, sagt Yonca Krahn, die sich schon sehr auf ihren nächsten freut. Denn trotz aller kritischer Beobachtungen sei der Triathlon in ihren Augen eine geniale Sportart. Er sei vielfältig „und jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin ist ebenbürtig. Bei einem Triathlon starten die Stars neben den Hobbysportlern. Ein Fußballfan kann wohl kaum mit seinem Idol sporteln."