Junge Frau sitzt erschöpft am Schreibtisch
StockPhotoPro – stock.adobe.com
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Coronavirus

„Long Covid“ und seine Unbekannten

Schnelle Erschöpfung, Atemnot, eingeschränkte Leistungsfähigkeit zählen zu den typischen „Long Covid“-Symptome. Erste Studien zeigen: Schwere Verläufe und Hospitalisierungen erhöhen das Risiko. Abgesehen davon ist vieles noch unklar, etwa wodurch die Erkrankung ausgelöst wird. Es gibt auch Hinweise, dass ein anderes Virus beteiligt sein könnte.

Eine einheitliche Definition für „Long Covid“ gebe es nicht, sagt die Gesundheitsökonomin Sarah Wolf vom Austrian Institute for Health Technology Assessment, AIHTA, die für ihre Überblicksuntersuchung 28 internationale Studien verglichen hat. Am häufigsten werde auf eine Definition aus Großbritannien verwiesen. Demnach spricht man vier Wochen nach Erkrankungsbeginn von einer anhaltenden Covid-19-Symptomatik, zwölf Wochen danach von einem Post-Covid-Syndrom. Beides werde als Long Covid zusammengefasst, so Wolf. "Dabei handelt es sich um ein sehr breites Spektrum an unterschiedlichen Symptomen, die Abgrenzung zu Symptomen anderer Erkrankungen ist hier nicht immer einfach.“

In den von Wolf analysierten Studien berichteten Betroffene ein bis drei Monate nach der Covid-19-Erkrankung am häufigsten von Müdigkeit, Erschöpfung, Kurzatmigkeit und Kopfschmerzen. Drei bis sechs Monate nach Krankheitsbeginn waren die Hauptsymptome immer noch Müdigkeit, Erschöpfung und Atemwegsprobleme, neu hinzukommen allerdings auch kognitiven Beeinträchtigungen, wie Konzentrationsschwierigkeiten und eingeschränkte Leistungsfähigkeit im Beruf oder Gedächtnisverlust.

Schwere des Verlaufs als Risikofaktor

Zu den Risikofaktoren für „Long Covid“ gibt es bis dato nur erste Hinweise. Einer davon bezieht sich auf die Covid-19-Erkrankung selbst: Wer davon schwerer betroffen ist, mehr Symptome bei der akuten Erkrankung entwickelt, habe auch ein höheres Risiko an „Long Covid“ zu leiden, so die These. „Zusätzlich haben die Studienergebnisse gezeigt, dass ‚Long Covid‘-Symptome häufiger bei den Covid-19-Patientinnen und Patienten vorkommen, die im Krankenhaus behandelt wurden, im Vergleich zu denen, die einen milderen Verlauf hatten und zuhause bleiben konnten“, so Wolf.

Gerade bei Patientinnen und Patienten, bei denen es zu einem Lungenversagen kommt und die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, könnte auch das die Ursache für die „Long Covid“-Symptome sein, erklärt Michael Joannidis, Leiter der Intensivmedizin an der Universitätsklinik Innsbruck. Langzeitstudien zur Erholung nach einem Lungenversagen, das nicht durch Covid-19 ausgelöst wurde, würden zeigen, dass noch Jahre später Einschränkungen wahrgenommen werden. Sechs Monate nach einem Intensivaufenthalt würden 70 Prozent unter Müdigkeit, 66 Prozent unter eingeschränkter körperlicher Belastbarkeit, 30 Prozent unter kognitiven Einschränkungen und jeweils 40 Prozent unter Angststörungen und Depressionen leiden. Man spricht hier von einem „Post-Intensive Care Syndrom“: „Alles Symptome, die auch bei Long Covid als charakteristisch gelten.“

Häufigkeit von Long Covid

Zur Prävalenz von „Long Covid“, also zur Anzahl der Covid-Patientinnen und -Patienten, die auch Monate nach der Erkrankung noch Symptome haben, gebe es sehr unterschiedliche Aussagen, sagt Sarah Wolf. Bei den nicht im Spital Behandelten waren es ein bis drei Monate nach der Erkrankung fünf bis 36 Prozent. Drei bis sechs Monate nach der Erkrankung waren es zwei bis 21 Prozent. Bei den Hospitalisierten ist die Spanne ähnlich groß: Ein bis drei Monate nach der Erkrankung waren es 39 bis 72 Prozent, drei bis sechs Monate danach 51 bis 68 Prozent. „Es ist also schwierig, die Ergebnisse zusammenzufassen“, so Wolf.

Laut Studien sind mehr Frauen von „Long Covid“ betroffen als Männer. Hier könnte jedoch auch soziale Erwünschtheit eine Rolle spielen: Männer empfänden ihren Gesundheitszustand in Befragungen prinzipiell besser als Frauen, erklärt Wolf.

Was Kinder und Jugendliche betrifft, dürfte ihr „Long Covid“-Risiko niedriger sein als das Erwachsener, wie eine Studie aus Großbritannien, erschienen in „The Lancet Child and Adolescence“, zeigt. Acht Wochen nach der Infektion litten nur rund 1,8 Prozent der Kinder und Jugendlichen weiterhin an Erschöpfung, Kopfweh oder Geruchsstörungen. Gedächtnisverlust und Leistungsabfall wurden in der britischen Studie mit mehr als 1.700 infizierten fünf bis 17-Jährigen gar nicht beobachtet.

Epstein-Barr-Virus und “Long Covid"

Seit einiger Zeit steht das Epstein-Barr-Virus (EBV) in Verdacht „Long Covid“ zu verstärken. Bis zu 95 Prozent aller Menschen tragen das EBV in sich. Eine Infektion erfolgt meist im Kindesalter und bleibt folgenlos. Nur bei einer Infektion im Jugend- oder Erwachsenenalter kann das Virus das Pfeiffersche Drüsenfieber auslösen. EBV ist ein Herpesvirus; es schlummert nach einer Infektion im Körper. Stress, Umwelteinflüsse oder andere Infektionskrankheiten können es reaktivieren, weshalb man auch annimmt, dass es bestimmte Autoimmunerkrankungen oder das chronische Erschöpfungssyndrom hervorruft bzw. verstärkt.

Da einige Patienten, die im Frühjahr 2020 auf Grund einer Covid-19-Erkrankung auf der Intensivstation der Klinik Innsbruck behandelt werden mussten, Symptome des Pfeifferschen Drüsenfiebers zeigten, untersuchte Michael Joannidis sie auf EBV. „Interessanterweise konnten wir bei fast 80 Prozent der 20 untersuchten Patienten erhöhte EBV-DNA nachweisen.“ In der Kontrollgruppe an Patienten, die zwar auch beatmet werden mussten, aber nicht mit dem Coronavirus infiziert waren, wiesen nur 44 Prozent einen erhöhten EBV-Titer auf.

Zusammenhang noch unklar

Je höher der EBV-Titer bei den Covid-19-Patientinnen und Patienten, desto höher war auch der Entzündungsmarker Interleukin 6, wie der Intensivmediziner feststellte. Diese Korrelation sage jedoch nichts über die Kausalität aus, räumt Joannidis ein. Man könne derzeit nicht sagen, ob das Epstein-Barr-Virus durch die starken Entzündungen im Körper reaktiviert wurde oder das EBV die Entzündungen hervorgerufen hat. „Es ist in beide Richtungen möglich. Es ist die Frage: Was ist die Henne, was ist das Ei?“

Eine Frage, der man derzeit international nachgeht. Forschende in den USA haben 185 Patienten drei Monate nach einer Coronavirus-Infektion untersucht. Rund ein Drittel hatte „Long Covid“ und zwei Drittel der von „Long Covid“-Betroffenen hatten wiederum aktive Epstein-Barr-Viren im Körper. Von den Patienten, die nach durchgemachter Covid-19 Erkrankung keine Symptome mehr hatten, wiesen nur zehn Prozent eine EBV-Reaktivierung auf. Die Forscher vermuten daher, dass die Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus teilweise für die „Long Covid“-Symptome verantwortlich ist oder zumindest eine Rolle spielt.